Die Katastrophe
darüberbreiten.«
»Sie wollen nur nicht den Ruf des Grace schädigen.«
Katie schüttelte mit dem Kopf. »Nein, das ist es nicht. Aber es spielt auch keine Rolle. Ich gehe auf jeden Fall dort hoch.«
»Du bist verrückt.«
»Das ist nichts Neues. Aber was ist mit dir? Bist du dabei?«
»Ich hätte noch nicht einmal vernünftige Schuhe.« Julia schüttelte den Kopf. »Scheiße, Katie, das ist ein Dreitausender! Hast du überhaupt eine genaue Karte für die Tour?«
»Mach dir deswegen keine Sorgen. Glaub mir, ich weiß, was ich tue.«
»Hey, Mädels, gut, dass ich euch hier treffe!« Isabel Hill kam den Flur entlang. Ihre Tutorin aus dem Senior-Jahr hatte wieder eine ihrer Listen in der Hand, ohne die sie die letzten Tage nie zu sehen gewesen war: »Habt ihr euch schon für das Rahmenprogramm eingetragen? Ich bräuchte noch jemand für die Podiumsdiskussion mit der Generalgouverneurin. Wie wäre es mit dir, Julia?«
5
D as Wetter war den ganzen Tag über einfach traumhaft geblieben. Eine Hochsommerhitze lag über dem Tal, die sich auch am späten Nachmittag nicht abkühlte.
Katie folgte dem Sog der Menge, die nach draußen ins Freie strömte.
»Kommst du mit zum See?« Eine Hand griff nach ihrem Ellbogen und zog sie mit sich. Es war Rose. »Vielleicht können wir heute zum letzten Mal baden. Schwimmen geht ja kaum wegen diesem blöden Fangnetz, das der Sicherheitsdienst dort aufgespannt hat. Dabei mag ich das Wasser im See lieber als die gechlorte Brühe im Sportzentrum. Danach muss man sich jedes Mal eine Stunde unter die Dusche stellen, damit man nach Mensch riecht.«
Ausgerechnet Rose, die als lebende Duftprobe für superteure Bodylotions und Deos herumlief. Auch jetzt – obwohl sie den ganzen Tag von einem Kurs zum anderen, von einem stickigen Hörsaal zum anderen unterwegs war, schwebte sie immer noch in einer zarten Duftwolke. Und ihr war auf hundert Meter Entfernung anzusehen, dass sie aus einer dieser steifen, snobistischen, vermögenden Ostküstenfamilien stammte.
Katie schob die Sonnenbrille über die Augen. Ihre Hand streifte das Pflaster an der linken Schläfe. »Mal sehen.«
»Die Jungs wollten für die Getränke sorgen. Und mit Julia hab ich verabredet, dass wir im Supermarkt ein paar leckere Sachen für ein Picknick kaufen.«
»Ich hasse Massenveranstaltungen.«
»Massenveranstaltungen? Wir sind gerade mal acht Leute, nur unsere Clique.«
»Mein Gott, wie ich das Wort Clique hasse!«, sagte Katie seufzend, obwohl sie sich schon entschieden hatte mitzukommen. Denn damit bot sich die passende Gelegenheit, mit den anderen in Ruhe zu reden.
»Aber okay, ich bin dabei. Unter der Voraussetzung, dass du mich mit Supermarkt-Shopping verschonst.«
»Möchtest du irgendetwas Besonderes?«
»Französischen Rotwein.«
Rose grinste ihr zu. »Guter Scherz. Bis später!« Sie setzte sich in Bewegung und verschwand in Richtung des Hauptgebäudes.
Katie schlug die entgegengesetzte Richtung ein und ließ vor allem den großen Platz vor der Empfangshalle hinter sich, wo ein Großteil der Studenten den Aufbau des Zeltes für die zahlreichen Gäste beobachtete.
Mein Gott, wie sie das alles hier hasste. Ständig unter Menschen zu sein. Die ganze Wichtigtuerei. Die Verlogenheit. Wenn sie nicht bald hier rauskam, würde sie noch wahnsinnig werden. Automatisch wandte Katie den Blick wieder der runden Kuppe des Ghost zu. Ja, sie hatte das Gefühl, sie beide – der Berg und sie, Katie West aus Washington DC – stünden sich gegenüber und in diesem Moment schloss sie ein Bündnis mit ihm.
Die Antwort war eine große schwarze Wolke, die sich vom Gletscher hinauf in Richtung Gipfel schob. Sie löste den Blick und zog die Liste aus der hinteren Tasche ihrer Hose, wo sie mit ihrer winzigen, verschnörkelten Schrift, die außer ihr keiner entziffern konnte, notiert hatte, was sie benötigte. Schuhe, Seile, Steigeisen.
Ihr fielen die alten, rostigen Steigeisen ein, die sie aus dem Lake Mirror herausgeholt hatte. Sie hatte lange im Internet nach diesem Modell gesucht. Sie wurden noch heute produziert, von einer kleinen Firma in der Schweiz, die eine lange Tradition hatte. Genau hatte Katie nicht herausbekommen können, wie lange die Eisen schon auf dem Grund des Sees gelegen hatten.
Die Frage war allerdings nicht nur das Wie lange – sondern vor allem das Warum. Was machten Steigeisen im Wasser? Weswegen hatte sie jemand dort hineingeworfen?
Wieder musste sie an die acht Studenten von damals denken, die
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