Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Katastrophe

Die Katastrophe

Titel: Die Katastrophe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
Vom Netzwerk:
hatte es ihm erzählt? Wer verdammt noch mal hatte hier gequatscht? Benjamin, der sich hinter seiner Kamera versteckte? Chris, der, den Arm um Julia geschlungen, an dem Fitnessgerät lehnte? David? Nein – sie alle sahen eher verwirrt, angespannt, nervös aus. Aber nicht schuldbewusst.
    Katie wandte sich wieder dem Jungen zu: »Keine Ahnung, wovon du sprichst!«
    »Ach ja? Und was ist das hier?« Er schob sich an Katie vorbei, sein Arm streifte ihre Schulter und trat an den niedrigen Schrank in der hintersten Ecke des Geräteraums. Im Gegensatz zu den nagelneuen hypermodernen Fitnessgeräten war er alt und verkratzt und sah so aus, als ob sich schon seit Jahren niemand mehr daran zu schaffen gemacht hatte. Fast ein bisschen, als ob er aus der Zeit gefallen sei.
    Plötzlich klopfte Katie das Herz bis zum Hals. Dieser Paul wusste von dem Schrank! Hatte er sie beobachtet, als sie vor zwei Tagen hier gewesen war und das Schloss geknackt hatte?
    Tatsächlich! Seelenruhig griff er nach dem Vorhängeschloss, das Katie vorsichtshalber um die Spindtüren gelegt hatte, damit keinem die Beschädigung auffiel, und zog es auf.
    Zum Vorschein kam die Ausrüstung, die Katie entdeckt hatte: Seile, Brustgurte, Hüftgurte, Haken, Steigeisen. Karabiner und Eispickel, von denen Paul Forster nun einen herauszog, ihn von einer Hand in die andere nahm, kurz überlegte und dann mit einem undefinierbaren Lächeln sagte: »Ihr braucht mich!«
    »Ach ja? Wozu?«, erwiderte Katie spöttisch und überlegte gleichzeitig, wie sie ihn wieder loswerden konnte, ohne dass etwas von der ganzen Sache nach außen drang.
    Seine Hand ging nach hinten und er zog etwas aus der Tasche seiner Jeans. Er lächelte. »Ich bin der Einzige, der eine Karte besitzt.«
    Katie zuckte zusammen. Sie beobachtete, wie die anderen den Jungen fasziniert anstarrten. Paul bereitete es ganz offensichtlich großes Vergnügen, die Karte nur langsam auseinanderzufalten. Das Papier war alt, zerschlissen und an den Faltstellen brüchig. Vorsichtig breitete er sie auf dem staubigen Boden des Geräteraums aus und Katie konnte die Aufschrift nicht übersehen.
    Solomon National Forest.
    Sie spürte, wie sie eine Hitzewelle durchlief.
    Dieser Typ besaß die Karte! Die Karte, nach der sie so lange und vergeblich gesucht hatte. Und als sie ihn nun verblüfft anschaute, gab er diesen Blick amüsiert zurück – aus Augen, deren Farbe sie vollkommen irritierte. Sie schimmerten in einem so hellen Braun, dass es fast gelb aussah. Und – verflucht – sie schaffte es nicht, einfach wegzusehen. Denn obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, was Paul wirklich wollte, hatte sie gleichzeitig das Gefühl, einen Verbündeten gefunden zu haben.
    »Woher hast du die?«, hörte sie sich fragen.
    »Wichtig ist nur, dass ihr ohne diese Karte euren Plan vergessen könnt. Woher ich sie habe, spielt keine Rolle.«
    Doch, dachte Katie, es spielt verdammt noch mal eine große Rolle! Aber sie ignorierte sämtliche Alarmglocken, die in ihr schrillten, und gab ihrer Neugier nach. Im nächsten Moment kniete sie bereits neben ihm am Boden und beugte sich über die Karte.
    Auf einen Blick erkannte sie das Ghostmassiv, das sich über dem Lake Mirror erhob, dahinter den Gletscher, dessen Bezeichnung sie nun zum ersten Mal las: Never Summer Fields.
    Und das Bergmassiv hieß nicht nur einfach Ghost, sondern auch die beiden Nebengipfel hatten Namen: White Soul, Blue Mind, Black Spirit.
    »Woher weißt du überhaupt, was wir vorhaben?« Chris hatte bis jetzt die Szene beobachtet. Jetzt trat er zu ihnen.
    »Man hört so einiges«, erwiderte Paul. »Und ich halte immer die Augen offen.«
    Unwillkürlich starrte Katie auf seine Schuhe. Er trug zerschlissene Laufschuhe von Adidas. Irgendein Uraltmodell.
    Plötzlich fiel ihr etwas ein. Heute Morgen am Felsen – kurz vor dem Steinschlag, da hatte sie einen Schatten über sich gesehen. Und danach hatte sie für einen Moment das überwältigende Gefühl gehabt, nicht allein gewesen zu sein. Könnte es vielleicht Paul gewesen sein, der dort gestanden hatte? Aber selbst wenn, weshalb sollte er deshalb von ihrem Plan wissen?
    Sie schüttelte den Kopf und beugte sich wieder über die Karte.
    Ihr Finger fuhr den Weg entlang, den sie sich ausgesucht hatte. Gott, sie hatte es geahnt! Sie hatte goldrichtig gelegen!
    Sie hob den Kopf und erklärte so kühl wie möglich: »Die Karte sagt mir nichts, was ich nicht schon wüsste.« Im nächsten Moment kniete Paul sich direkt neben sie.

Weitere Kostenlose Bücher