Die Katastrophe
dir mal was, Debbie! Meinetwegen kannst du dem verdammten Dean in den Arsch kriechen, wenn dir das Spaß macht.«
»Und wenn du da wieder rauskommst«, fuhr Chris fort, »war es das für dich hier am College. Kein Mensch wird mehr mit dir ein Wort reden, dafür sorgen wir. So läuft das nämlich, wenn ein Student einen anderen verpfeift, verstehst du?«
Debbie brach in Schluchzen aus. Wie immer, wenn sie ihren Willen nicht durchsetzen konnte.
Katie konnte nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken. Das lief hier falsch – und zwar so was von falsch! Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass diese Nervensäge von Debbie ihren ganzen Plan vermasselte, indem sie sich allen Ernstes einbildete, sie würde so eine Tour schaffen.
Es war ausgerechnet Paul, der die Situation rettete. Er trat neben Debbie und legte ihr beruhigend seinen Arm um die Schultern. »He, ganz ruhig«, sagte er. »Du bist Deborah, oder?«
Debbie nickte unter Tränen. »Und du?«
»Paul Forster.«
Debbie wollte etwas sagen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen, was an sich schon eine Leistung war.
»Deborah, die meinen das nicht so«, fuhr er fort. »Haben sie dir denn nicht gesagt, warum sie wollen, dass du hierbleibst?«
Augenblicklich versiegten Debbies Tränen und sie starrte ihn misstrauisch an, als er nun an die anderen gewandt fortfuhr. »Ihr hättet es ihr sagen sollen!«
»Was? Was sollen sie mir sagen?«
Nichts, hätte Katie gerne erwidert, aber sie hielt den Mund, gespannt darauf, wie Paul aus dieser Nummer wieder herauskommen wollte. »Du gehörst natürlich zum Team«, erklärte er in der nächsten Sekunde mit todernstem Gesichtsausdruck. »Wir rechnen sogar fest mit dir. Wir brauchen hier unten jemanden, der uns deckt, falls unser Verschwinden auffällt. Außerdem ist das College unser Basislager und wir müssen jemanden haben, der mit uns in Kontakt bleibt – für den Fall, dass wir uns dort oben am Berg trennen müssen. Einer muss dann die Gruppen über Mobiltelefon koordinieren.«
Debbie zögerte. Katie hielt den Atem an. Das Manöver von Paul war ziemlich offensichtlich und Debbie nicht so dumm, wie sie sich gab. Andererseits, diese ganze Szene – von wegen, dass sie mitkommen wollte – war vermutlich reine Show! Denn was Debbies Verhältnis zu Sport betraf, hatte Benjamin völlig ins Schwarze getroffen. Debbie würde nie im Leben freiwillig den Finger heben, geschweige denn so eine Gewalttour ernsthaft in Erwägung ziehen. Nein, es ging ihr einzig und allein darum, nicht übergangen zu werden. Insofern bot ihr Pauls Vorschlag die perfekte Gelegenheit, aus der Sache wieder herauszukommen, ohne das Gesicht zu verlieren.
Und tatsächlich – Debbie schniefte einmal und wischte sich übers Gesicht. Dann kniff sie die Augen zusammen und musterte Paul genauer. »Paul Forster?«, fragte sie. »Ist Mr Forster dein Vater? Und hat der nicht einen Sohn, der nur auf Bewährung...«
»Eben . . .«, erwiderte Paul und sah Katie eindringlich an. »Darum geht es doch bei der ganzen Sache. Es geht darum, sich zu bewähren.«
9
K atie hatte die Nacht über kaum geschlafen. Um vier Uhr war sie aufgestanden, um zum hundertsten Mal aus dem Fenster auf den Ghost zu starren. In der Dunkelheit der Nacht waren lediglich seine Umrisse erkennbar. Nichts als die gezackten Linien der beiden Nebengipfel und das Oval des Hauptgipfels, über dem wie fast immer eine Schleierwolke hing, als verberge der Berg sein wahres Gesicht dahinter.
Jetzt war es fünf Uhr am Morgen, und obwohl der Horizont im Osten noch immer pechschwarz war, konnte man bereits den neuen Tag fühlen. Die Luft roch anders und nach und nach verschwanden die Sterne vom Himmel, dessen Klarheit einen wolkenlosen Tag versprach.
Katie hatte sich als Erste aus dem Apartment geschlichen. In Julias Zimmer regte sich noch nichts und Katie wusste selbst nicht, warum sie nicht auf die Mitbewohnerin wartete. Vielleicht, um als Erste am Treffpunkt zu sein. Vielleicht, um noch eine halbe Stunde für sich zu haben, bevor es losging.
So hatte es Sebastien immer gehalten.
Katie sah sich um. Das trutzige Hauptgebäude des Colleges lag in ihrem Rücken, die langen Fensterfronten hinter den Balkonen hatten etwas Bedrohliches, wie immer, wenn das Gebäude im Dunkeln lag. In jedem dieser Zimmer konnte sich jemand verbergen, der ihren Aufbruch beobachtete.
Um was genau zu tun?
Sie wusste es nicht.
Katie drehte sich entschlossen um und bog mit schnellen Schritten nach links in den
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