Die Katastrophe
dann plötzlich hätte sie fast erleichtert aufgestöhnt. Wie konnte sie nur so blöd sein? Irgendwo musste es eine Sprechanlage geben. Die Sicherheitsbeamten saßen den ganzen Tag in ihrem Büro und starrten auf ihre Bildschirme. Vermutlich lachten sie sich bereits kaputt über sie, wie sie hier im Dunkeln wie ein verängstigtes Tier saß, anstatt einfach diese rote Notruftaste zu drücken und ihnen zu sagen: Bewegt euren Arsch hierher und bringt das Ding wieder zum Laufen.
Der Lichtkegel der Taschenlampe erhellte das Bedienfeld links von den Aufzugtüren. Sie drückte die rote Taste und im nächsten Moment hörte sie bereits ein beruhigendes Rauschen.
»Hallo? Können Sie mich hören? Ich stecke hier im Aufzug fest!«
Wieder nur dieses Rauschen.
»Hallo?«
Stille.
Dann ein Flüstern.
Nein, kein Flüstern, eher ein monotones Raunen, Worte, die in einem gleichbleibend leisen Tonfall gesprochen wurden.
»Vergiss...«
Hatte sie richtig verstanden?
»Was? Ich verstehe Sie nicht. Ich stecke hier in diesem Scheißaufzug fest und brauche Hilfe.«
»Vergiss den Plan!«
Okay! Fakt war, Katie hatte beschissene Angst, in einen Aufzug zu steigen. Fakt war auch, dass sie das Gefühl hatte, der Sauerstoff würde immer knapper, und ja – sie sah sich bereits bewusstlos am Boden liegen. Aber noch war sie nicht so weit gekommen, dass sie Stimmen hörte. Das nicht. Also musste dieses ganze Funk-Telekommunikationsdrecksnetz, oder wie immer man diese verdammte Technik auch bezeichnen sollte, zusammengebrochen sein.
»Hören Sie mich? Wer spricht da? Gehören Sie zum Sicherheitsdienst?«
»Dort oben wird jemand sterben. Verstehst du mich? Katie? Katie? Und es wird deine Schuld sein, Katie. Deine Schuld, Schuld...«
Schweißnass und am ganzen Körper zitternd, rutschte Katie zu Boden. Ihr Herz hämmerte. Und mit jedem Schlag dröhnte in ihren Ohren dieses letzte Wort: Schuld, Schuld, Schuld.
Sie kam erst wieder zur Besinnung, als das Licht im Aufzug ansprang und eine tiefe kräftige Stimme laut und deutlich sagte: »Sie haben den Notruf gedrückt. Bitte warten Sie einige Sekunden, der Schaden wird soeben behoben.«
Und noch ehe der Satz zu Ende gesprochen war, ging wieder ein Ruck durch den Fahrstuhl. Kaum eine Sekunde später kam er im zweiten Untergeschoss zum Stehen, die Türen öffneten sich. Katie stolperte heraus und stieß gegen jemanden, der vor der Aufzugtür wartete.
Mr Forster stand vor ihr und auf seinen Lippen lag ein seltsames Lächeln. »Irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte er.
Katie rannte. Sie rannte durch den Tunnel, der tief unter der Erde entlangführte. Ihre Schritte wurden von den Betonwänden zurückgeworfen, wie auch ihr Atem, der keuchend ging. Erst als sie vor sich die Glastür erkannte, hinter der die Neonbeleuchtung des Schwimmbereichs hell erstrahlte, wurde sie langsamer und versuchte, sich zu beruhigen.
Wenn du irgendjemanden von deinem Vorhaben überzeugen willst, dann musst du genau das zeigen, was du besitzt. Den festen Willen. Du weißt, wie man Menschen überredet, sie überzeugt. Hast es tausendmal bei deinem Vater beobachtet. Wie Katie auch den emotionslosen Gesichtsausdruck ihrer Mutter perfekt beherrschte, mit dem sie anderen Distanz und ihre Überlegenheit demonstrierte.
Als Katie also den Sportbereich betrat, konnte ihr niemand ansehen, dass sie soeben einen Albtraum erlebt hatte. Betont langsam, den Rucksack lässig über die linke Schulter geworfen, betrat sie den Geräteraum.
Dort erwartete man sie bereits und plötzlich musste sie ihre Erleichterung nicht spielen, denn es waren nicht nur diejenigen gekommen, mit denen sie gerechnet hatte. Julia und Chris lehnten an einem Fitnessgerät neben der Tür, aber auch David und Benjamin waren da und Letzterer war es, der sie heiter begrüßte: »Da ist sie ja, die Expeditionsleiterin unseres waghalsigen Unternehmens, Katie West.«
Und noch jemand war hier. Ein Junge, den sie noch nie vorher gesehen hatte. Da war Katie sich völlig sicher. Dieses Gesicht hätte sie nie vergessen. Nicht die zurückgekämmten rotblonden Haare. Nicht den kurz gestutzten Bart, nicht die Furche auf seiner Stirn und schon gar nicht die Narbe auf seiner linken Wange.
»Hi.« Er trat auf sie zu. »Ich bin Paul. Paul Forster. Ich wäre gern in eurem Team.«
8
P aul Forster?
Während Katie die Verwunderung und die Neugierde in den Augen der anderen las, überschlugen sich ihre Gedanken.
Woher wusste er von ihrem Vorhaben? Wer von den anderen
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