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Die Katastrophe

Die Katastrophe

Titel: Die Katastrophe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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war in der riesigen Wohnung umhergewandert, ihre Hände unablässig damit beschäftigt, Stühle zu verschieben, Schubladen auf-und zuzumachen, Kissen gerade zu rücken. Fast als versetze sie der Abschied ihrer Tochter in Panik. Doch dann hatte sie nicht einmal die Hand zum Abschied gehoben. Und schon gar nicht den typischen Satz über die Lippen gebracht, den jede Mutter ihrer achtzehnjährigen Tochter mitgibt, die zweitausend Meilen weiter weg ihr neues Leben anfängt.
    »Ruf doch mal an.«
    Durch Katies Herz ging ein Stromschlag. Gut – biologisch betrachtet war es irgendetwas anderes –, aber genau so fühlte es sich an. Dieser kurze, wirklich kurze Moment, wenn das wichtigste Organ des Menschen, das ihn am Leben erhält, den Rhythmus verliert. Und das alles nur wegen dieser elenden Erinnerungen. Scheiße!
    Sie war doch sowieso für ihre Eltern gestorben!
    Anders, Katie, du musst umgekehrt denken. Sie sind für dich gestorben!
    Für einen Moment fühlte sie sich hundeelend. Noch immer klebte sie mit gegrätschten Beinen im Steinhang. Sie biss die Zähne zusammen und spürte, wie ihre schweißnassen Finger abrutschten. Ihre Knie zitterten.
    Hatte sie dieser Gedanke an ihre Eltern, dieser Stromschlag aus der Konzentration gebracht? Verdammt, sie wusste doch, dass es sie das Leben kosten konnte.
    Aber dann begriff sie, dass es etwas anderes gewesen war, was sie aufgeschreckt hatte. Und im nächsten Moment hörte sie es auch schon.
    Steinschlag!
    Direkt von oben!
    Ihre Finger krallten sich in die Ritze in der Wand. Ihre Füße klebten am Fels, sie wagte es nicht, auch nur eine Hand loszulassen. Ein Stein pfiff an ihr vorbei. Und instinktiv zog sie den Kopf nach vorne.
    Der Helm! Sie hatte ihn im Zimmer gelassen, ihn einfach vergessen.
    Ein kurzer Blick die Wand hinauf. Die Morgensonne mit ihrem hellen Licht malte einen Schatten auf die Felsen. Die Morgensonne. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte sie auf in Katies Augen.
    Ihr Kopf stieß gegen den Felsen.

2
    M ist! Sie hatte verschlafen! Obwohl Chris versprochen hatte, den Wecker seines Handys auf vier Uhr zu stellen. Und hätte er nicht im Schlaf gesprochen und sich von einer Seite auf die andere geworfen, würde sie immer noch neben ihm liegen.
    Leise zog Julia die Tür des Apartments 113 hinter sich zu und holte tief Luft, um anschließend auf Zehenspitzen die Treppe hochzuschleichen. Wenn man sie erwischte und herauskäme, dass sie nachts bei Chris schlief, würde sie Ärger bekommen.
    Verdammt viel Ärger!
    Julia grinste innerlich: Huch, da bekam sie aber echt Schiss! Ärger – das war ein Wort, das in ihrem Wortschatz eigentlich nicht vorkam. Denn Ärger war nicht schlimmer als ein Fleck auf einem T-Shirt, ein abgetretener Schuhabsatz, nicht mehr als ein Kratzer im Lack ihres Alltags. Wow! Sie war ja richtig gut drauf, heute Morgen. Die letzten Sätze sollte sie sich merken für Mrs Hill, die nicht nur englische Literatur am College unterrichtete, sondern auch Creative-Writing-Kurse gab.
    Im zweiten Stockwerk angelangt, stieß Julia leise die Glastür auf, die das Treppenhaus von dem langen Korridor trennte, in denen sich die Apartments der Mädchen aus dem ersten Jahr aneinanderreihten. Wie immer lag dieser merkwürdige Geruch über den holzvertäfelten dunklen Fluren. Irgendetwas zwischen schweißgetränkten alten Socken und ätzenden Reinigungsmitteln, die mit hundertprozentiger Sicherheit schon längst auf dem Index für gefährliche Umweltgifte standen.
    Es war kurz vor halb sechs. Zu früh, um hier draußen im T-Shirt, sozusagen halb nackt, herumzurennen, und zu spät, um sicher zu sein, dass noch niemand wach war. Isabell Hill, Studentin im Senior-Jahr und Betreuerin des zweiten Stockwerks, gehörte zu den Frühaufstehern und war jemand, der um diese Uhrzeit bereits gerne joggte. Julia konnte nicht verstehen, weshalb die Senior-Studentin von der Collegeleitung überhaupt noch als Tutorin akzeptiert wurde, nachdem sie die verbotene Party am See vor drei Monaten organisiert hatte, die in dieser furchtbaren Katastrophe um Angela Finder gemündet hatte.
    Aber offenbar hatte Dean Walden kein Problem damit. Vielleicht lag es auch daran, dass Isabells Eltern Dozenten am Grace waren.
    Julia huschte an den Aufzügen vorbei in Richtung ihres Apartments, das ganz am Ende des Flurs lag. Sie hatte nicht zum ersten Mal eine Nacht bei Chris verbracht und damit eine der strengen Hausregeln verletzt. Allerdings war es nicht der Verstoß gegen die heilige

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