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Die Katastrophe

Die Katastrophe

Titel: Die Katastrophe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Hausordnung, der ihr Sorge bereitete. Nein, was sie echt fürchtete, war der Fakt, dass sie süchtig nach Chris’ Nähe zu sein schien. Denn im Hinterkopf schwebte immer die Angst, sie könnte einfach nur das Alleinsein nicht aushalten. Die Nächte im Tal – sie waren am schlimmsten. Wenn Dunkelheit und Stille sich verbündeten und den schrecklichen Erinnerungen an die Vergangenheit und der Panik vor der Zukunft Tür und Tor öffneten.
    War es wirklich Julia, die nach Mitternacht hinunter zum Apartment der Jungs schlich? Oder nicht etwa ihr früheres Ich: Laura de Vincenz? Das Mädchen, das sie gewesen war, bevor ihre Eltern so brutal ermordet worden waren – und deren alte Identität sich immer wieder den Weg an die Oberfläche suchte? Ähnlich einem Gespenst aus der Vergangenheit, das durch die nicht enden wollenden Flure alter Gemäuer huschte?
    Niemand hier im College wusste, dass Julia und ihr Bruder Robert im Rahmen des deutschen Zeugenschutzprogramms ein neues Leben angefangen hatten. Nicht einmal Chris.
    Vor allem nicht Chris.
    Sie musste unbedingt mit Katie über Chris reden. Nicht, dass man mit Katie wirklich hätte reden können. Es war mehr so, dass die spröde Halb-Koreanerin einfach nur zuhörte. Und wenn sie doch einmal einen Kommentar abgab, dann äußerte sie mit Sicherheit kein Verständnis, sondern allenfalls etwas wie mitleidslose Akzeptanz.
    »Warum beschwerst du dich dauernd über Chris?«, hatte Katie nicht nur einmal gesagt. »Wenn er dir zu wenig spricht, dann stelle ihm Fragen. Vielleicht ist er einer von den Typen, die nur im Dialog funktionieren.«
    »Aber was will er wirklich von mir?«
    »Wie wäre es mit Sex? Dazu braucht er nicht zu reden. Männer reden nur, um eine Frau herumzubekommen. Meiner Meinung nach ist das der Grund, warum sie überhaupt die menschliche Sprache lernen.«
    Ganz so einfach, wie Katie es schilderte, war die Sache nicht, und je stärker ihre Mitbewohnerin über Chris lästerte, desto heftiger verteidigte Julia ihn: »Aber er sagt, er liebt mich. Immer wieder!«
    »Ist doch schön! Ich verstehe allerdings nicht, warum sich das aus deinem Mund so verzweifelt anhört.«
    Das war meistens der Punkt, an dem Julia das Thema wechselte, denn im Grunde hatte sie keine Ahnung, warum Chris sie wieder und wieder in diese Zweifel stürzte. Vielleicht, weil es bei Kristian völlig anders gewesen war? Nein, du, Julia, warst damals völlig anders, dachte sie und drückte die Klinke zum Apartment 213 herunter, das wie alle VierZimmer-Apartments von dem langen Hauptflur abzweigte.
    Als sie die Tür leise hinter sich zuzog und den Vorraum durchquerte, hörte sie es in der Küche rascheln.
    Auch das noch! Womöglich war Debbie wieder mal mittendrin in einer ihrer Fressorgien. Als ob es nicht in einer Stunde Frühstück in der Mensa gäbe.
    Julia stoppte und lauschte. Die Tür des Kühlschranks wurde geöffnet und wieder geschlossen. Dieses Mädchen litt unter einer nicht zu stillenden Sucht und damit meinte Julia nicht nur die Fresssucht, sondern eine unermessliche Neugierde, die etwas Parasitäres an sich hatte. Sie bohrte sich in das Leben der anderen, saugte sie aus und übertrug ihr Wissen von einem Studenten zum anderen. In rasanter Geschwindigkeit. Schneller, als ein Virus es vermochte.
    Schon näherte sich die rundliche gedrungene Gestalt ihrer Mitbewohnerin der Glastür. Julia fiel nichts Besseres ein, als in das am nächsten liegende Zimmer zu flüchten. Schon hatte sie bereits den Türgriff in der Hand.
    Katies Raum lag fast vollständig im Dunkeln. Aber eben nur fast. Denn das helle Licht des Morgens schaffte es hier und da, durch eine der Ritzen der wurmstichigen Holzläden zu dringen. Wie ihr eigener Raum war auch Katies Zimmer winzig. Die Wand links wurde komplett von einem Schrank und einem schmalen Bücherregal eingenommen, gegenüber standen das Bett und rechts der Schreibtisch. Julia tastete sich langsam nach vorne und hoffte, dass sie Katie nicht zu Tode erschreckte.
    Als ob Katie etwas erschrecken könnte, schoss ihr durch den Kopf. Jedenfalls musste sie schlafen wie ein Stein, denn weder hörte Julia ein Rascheln der Bettdecke noch irgendwelche Atemgeräusche. Als hätte man den Stecker gezogen.
    Draußen im Vorraum hörte sie Debbies schlurfende Schritte und das Klatschen ihrer Flipflops auf dem Linoleum, dann fiel eine Tür ins Schloss.
    Julia stieß in der Dunkelheit gegen etwas, das sich plötzlich bewegte. Der Schatten des alten Schaukelstuhls schwang vor

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