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Die Katastrophe

Die Katastrophe

Titel: Die Katastrophe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Wort, sie zögerte nicht. Sie ging rasch, mit großen Schritten über das unwegsame Gelände und Katie musste an Geschwindigkeit zulegen, um mit ihr Schritt zu halten. Sie spürte, wie ihr Atem schneller ging. Doch kein Sonntagsspaziergang, dachte sie zufrieden, sondern die Herausforderung, die ich mir gewünscht habe.
    Julia dagegen wirkte erschöpft, aber ein Blick auf Ana verriet Katie, dass ihre Bergführerin nicht haltmachen würde, bis sie die Hütte erreicht hätten.
    Langsam gewöhnte Katie sich daran, sich durch das widerspenstige Schilf zu kämpfen, vorbei an mickrigen Wacholdersträuchern und umgestürzten Bäumen. Und mit der Zeit lernte sie auch an der Farbe des Grases zu erkennen, wann wieder einer dieser kreuz und quer verlaufenden hinterhältigen Wassergräben kam, in denen man fast bis zu den Knien versinken konnte. Wenn sie dem Sumpf zu nahe kam, wenn sie Wasserlöcher sah, in denen das Wasser dunkel glitzerte, hielt sie automatisch Abstand.
    Bis auf den Vogel vorhin war kein Tier mehr aufgetaucht, das sie in seiner Ruhe störten. Es kam ihr vor, als ob sie die einzigen Lebewesen waren, die in dieser schrecklichen Einöde unterwegs waren.
    Aber Sumpf hin oder her, Katie war in Bewegung. Sie war in ihrem Element.
    Als Kind hatte Katie die Vorstellung, dass ihr ganzes Leben von Stille und Stillstand bestimmt war. Die Atmosphäre war genauso trostlos wie die Gegend hier gewesen.
    Katie hasste Unbeweglichkeit und Stillstand. Es erinnerte sie an ihre Mutter, eine Frau, die sogar Angst hatte, ihre Gesichtsmuskeln zu bewegen, da sonst die Gefahr bestand, eine einzige Falte würde sich in das Gesicht graben. Ihre Mutter hatte sich so sehr eine Tochter gewünscht, die ihr Ebenbild war. Stattdessen hatte sie Katie bekommen – das absolute Gegenteil. Nicht nur, dass Katie selbst für eine Halbkoreanerin mit ihren 1,79 m viel zu groß war und ihr die grazile Haltung ihrer Mutter fehlte; sie zeigte zum Leidwesen ihrer Mutter auch schon als Dreijährige diesen unstillbaren Vorwärtsdrang. Ein kaum zu bändigendes Kind war sie gewesen und das war so geblieben. An welchem Ort sie auch gewohnt hatten, während ihr Vater in der Politik immer höher aufstieg – Katie war stets ruhelos gewesen.
    Und deswegen musste sie früher wie heute immer in Bewegung bleiben.
    Sie warf einen Blick nach vorn. David, Chris, Ana, dahinter Julia mit Benjamin, der wieder mal filmte. Aber wo war Paul? Unwillkürlich wurde sie schneller, überholte die anderen, bis sie Ana erreicht hatte.
    »Wo ist er?«
    »Paul? Keine Ahnung. Vielleicht zum Pinkeln?« Und nach einer kurzen Pause. »Der wird uns noch Schwierigkeiten machen.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »So etwas rieche ich...«Es schien, als wollte Ana noch etwas hinzufügen, doch dann entschied sie sich anders. »Als wir uns in Fields getroffen haben, hätte ich nie gedacht, dass du mich beim Wort nimmst und so viele Leute für die Tour auftreibst.«
    »Es sind meine Freunde.«
    »Ich dachte eher, du bist ein Einzelgänger.« Sie sprang geschickt über ein breiteres Rinnsal. »Na, egal. Ich hoffe, du hast dir die Richtigen für die Tour ausgesucht. Ich für meinen Teil habe schon so viele Leute hier durch die Berge geführt, nur weil die mal ein Abenteuer erleben wollten, und manche von ihnen hätte ich am liebsten dort oben zurückgelassen...«
    Ana brach ab und Katie hakte nicht nach.
    Wieder sah sie sich nach Paul um, doch sie konnte ihn nirgendwo entdecken. Langsam ließ sie sich zurückfallen, bis sie am Ende der Gruppe ging.
    Freunde? Warum hatte sie das gesagt?
    Sie hatte bisher nur einen echten Freund gehabt.
    Sebastien war damals auf die Idee mit der Brücke gekommen. Sie hatten fasziniert hinunter auf den Potomac River gestarrt, auf die Stelle, wo eine leere Plastikflasche in den Wellen trieb. Der Abend war sehr windig gewesen, ja der Wind hatte geradezu gebrüllt und sie hatten sich aneinander festgehalten, um nicht davonzufliegen. Man müsste sich auflösen können, hatte Katie in dem Moment gedacht. Sich auflösen und in dieser Flasche verschwinden, die einen bis zum Atlantik brachte. Oder sich einfach vom Wind treiben lassen.
    »Wir sollten springen«, hatte Sebastien ihre Träume unterbrochen.
    »Springen?«
    »Ja, von dieser Brücke.«
    Katie erinnerte sich noch genau daran, wie sie plötzlich die Höhe wahrgenommen hatte und das damit verbundene Gefühl, als würde sie tatsächlich in diesem Moment auf das Brückengeländer steigen und dort oben stehen. Das war

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