Die Kathedrale des Meeres
konnte nicht zulassen, dass auch nur der kleinste Makel auf sein Schmuckstück fiel.
»Nichts«, antwortete Joan.
»Was heißt nichts?«, entgegnete Gastó hastig, ohne auch nur einen Millimeter von Joan abzurücken. »Warum willst du dann mit mir über Aledis sprechen? Sag die Wahrheit, was hat sie angestellt?«
»Nichts. Sie hat nichts angestellt. Ehrlich.«
»Nichts? Und du?«, sagte er, diesmal zur Beruhigung seines Bruders an Arnau gerichtet. »Was hast du dazu zu sagen? Was weißt du über Aledis?«
»Ich? Nichts …«
Arnaus Zögern gab Gastós zwanghaften Befürchtungen neue Nahrung.
»Erzähl es mir!«
»Es ist nichts … gar nichts …«
Gastó wartete nicht länger und stapfte zu Peres Haus zurück.
Die beiden Jungen versuchten es noch zwei weitere Male, aber sie kamen gar nicht dazu, sich zu erklären. Nach einigen Wochen schilderten sie entmutigt Pater Albert ihr Problem, der lächelnd versprach, mit Gastó zu reden.
»Es tut mir leid, Arnau«, erklärte Pater Albert eine Woche später. Er hatte Arnau und Joan an den Strand bestellt. »Gastó Segura willigt nicht in eine Heirat mit seiner Tochter ein.«
»Warum?«, fragte Joan. »Arnau ist ein anständiger Kerl.«
»Ihr wollt, dass ich meine Tochter einem Hafenarbeiter zur Frau gebe?«, hatte der Gerber dem Pfarrer entgegnet. »Einem Sklaven, der nicht einmal genug verdient, um sich ein Zimmer zu mieten?«
Der Pater hatte versucht, ihn zu überzeugen: »Im Ribera-Viertel arbeiten keine Sklaven mehr. Das war früher einmal. Du weißt genau, dass es verboten ist, Sklaven …«
»Es ist Sklavenarbeit.«
»Das war es früher«, beharrte der Priester. »Außerdem«, setzte er hinzu, »ist es mir gelungen, eine gute Mitgift für deine Tochter zu beschaffen.« Gastó Segura, der das Gespräch bereits für beendet erklärt hatte, drehte sich abrupt zu dem Priester um. »Davon könnten sie ein Haus kaufen …«
Gastó unterbrach ihn erneut:
»Meine Tochter braucht keine Almosen von den Reichen! Hebt Euch Eure Predigten für andere auf.«
Nachdem er Pater Alberts Worte gehört hatte, blickte Arnau aufs Meer hinaus. Ein Streifen schimmernden Mondlichts zog sich vom Horizont bis zum Ufer und verlor sich in der Gischt der Wellen, die sich am Strand brachen.
Pater Alberts Schweigen wurde vom Rauschen der Wellen übertönt. Und wenn Arnau ihn nach den Gründen fragte? Was sollte er ihm sagen?
»Warum?«, brachte Arnau heraus, während er weiter zum Horizont sah.
»Gastó Segura ist ein sonderbarer Mensch.« Er durfte den Jungen nicht noch trauriger machen! »Er will einen Adligen für seine Tochter! Wie kann ein Gerbergeselle so einen Wunsch hegen?«
Einen Adligen. Ob ihm der Junge das geglaubt hatte? Niemand konnte sich gering geschätzt fühlen, wenn der Adel im Spiel war. Sogar das stete, geduldige Rauschen der Wellen schien auf Arnaus Antwort zu warten.
Ein Schluchzen hallte über den Strand.
Der Priester legte den Arm um Arnaus Schulter und spürte, wie der Junge von Weinkrämpfen geschüttelt wurde. Dann nahm er auch Joan in den Arm. So standen die drei am Meer.
»Du wirst eine gute Frau finden«, sagte der Priester schließlich.
»Aber keine wie sie«, dachte Arnau.
DRITTER TEIL
DIENER DER LEIDENSCHAFT
21
Zweiter Sonntag im Juli 1339
Santa María del Mar
Barcelona
Vier Jahre waren vergangen, seit Gastó Segura dem Bastaix Arnau die Hand seiner Tochter verweigert hatte. Wenige Monate später war Aledis mit einem alten Gerbermeister verheiratet worden, einem Witwer, der lüstern über die fehlende Mitgift des Mädchens hinwegsah.
Arnau war nun achtzehn Jahre alt, groß, kräftig und gut aussehend. In den vergangenen vier Jahren hatte er ganz für die Zunft, Santa María del Mar und seinen Bruder Joan gelebt. Er hatte Waren und Steine geschleppt, in die Kasse der Bastaixos eingezahlt und andächtig an den Gottesdiensten teilgenommen. Aber er war nicht verheiratet, und die Zunftmeister sahen es mit Sorge, dass ein junger Mann wie er ledig blieb. Wenn er der Versuchung des Fleisches erlag, mussten sie ihn aus der Zunft ausschließen, und wie schnell war es geschehen, dass ein Bursche von achtzehn Jahren diese Sünde beging!
Doch Arnau wollte nichts von Frauen hören. Als der Pfarrer ihm mitgeteilt hatte, dass Gastó ihn nicht als Schwiegersohn akzeptiere, hatte Arnau aufs Meer hinausgeblickt. Seine Gedanken schweiften zu den Frauen, die es in seinem Leben gegeben hatte. Seine Mutter hatte er nie kennengelernt. Von seiner
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