Die Kathedrale des Meeres
übertrifft alles andere.«
Joan gab die Erklärungen seiner Lehrer aus dem Gedächtnis wieder.
»Welches sind die anderen drei Untugenden?«
»Geiz, Verblendung und Gleichgültigkeit.«
»Und was hat die Verderbtheit mit Aledis zu tun?«
»Die Frauen sind von Natur aus schlecht und genießen es, den Mann auf die Wege des Bösen zu führen«, dozierte Joan.
»Warum?«
»Weil die Frauen unstet sind wie ein Windhauch. Sie treiben von hier nach dort wie ein Blatt im Wind.«
Joan dachte an den Priester, der diesen Vergleich angestellt hatte. Dabei hatte er mit den Armen um seinen Kopf herumgefuchtelt, die Hände gespreizt, während seine Finger auf und ab flatterten.
»Zum Zweiten«, dozierte er weiter, »wurde die Frau von Natur aus mit wenig Verstand erschaffen, der ihrer natürlichen Verderbtheit Einhalt geböte.«
Joan hatte das alles gelesen und noch viel mehr, doch er war nicht in der Lage, das Gelesene in Worte zu fassen. Die Gelehrten behaupteten außerdem, die Frau sei von Natur aus kalt und phlegmatisch, und bekanntlich entbrenne etwas Kaltes, wenn es Feuer fange, besonders heftig. Den Kennern zufolge war die Frau die Antithese des Mannes. Sogar ihr Körper sei dem des Mannes entgegengesetzt, unten breit und oben schmal, während es bei einem wohlgestalten Mann genau andersherum sein solle: schlank von der Brust abwärts, breite Schultern und Brust, kurzer, kräftiger Hals und ein großer Kopf. Komme eine Frau zur Welt, so sei der erste Buchstabe, den sie ausspreche, das ›E‹, ein zänkischer Laut. Hingegen sei der erste Buchstabe, den ein Mann ausspreche, das ›A‹, der erste Buchstabe des Alphabets und dem ›E‹ genau entgegengesetzt.
»Das kann nicht sein. Aledis ist nicht so«, widersprach Arnau schließlich.
»Mach dir nichts vor. Mit Ausnahme der Jungfrau Maria, die Jesus ohne Sünde empfing, sind alle Frauen gleich. Sogar die Vorschriften deiner Zunft tragen dem Rechnung! Verbieten sie nicht ehebrecherische Beziehungen? Schreiben sie nicht den Ausschluss jedes Mitglieds vor, das eine Geliebte hat oder mit einer ehrlosen Frau zusammenlebt?«
Diesem Argument hatte Arnau nichts entgegenzusetzen. Von den Argumenten der Gelehrten und Philosophen hatte er keine Ahnung. Er konnte sie trotz Joans Bemühungen ignorieren, doch bei den Zunftvorschriften war das anders. Diese Regeln waren ihm sehr wohl bekannt. Die Zunftmeister hatten ihn damit vertraut gemacht und ihn darauf hingewiesen, dass man ihn ausschließen werde, wenn er sich nicht daran halte. Und die Zunft konnte nicht irren!
Arnau war entsetzlich verwirrt.
»Aber was kann man dann tun? Wenn alle Frauen schlecht sind …«
»Zunächst einmal muss man sie heiraten«, fiel ihm Joan ins Wort, »und wenn der Bund der Ehe geschlossen ist, so handeln, wie es uns die Kirche lehrt.«
Heiraten … Diese Möglichkeit hatte er noch nie bedacht, aber wenn es die einzige Lösung war …
»Und was muss man tun, wenn man dann verheiratet ist?«, fragte er. Seine Stimme bebte angesichts der Aussicht, ein Leben lang mit Aledis zusammen zu sein.
Joan nahm den Faden dessen wieder auf, was ihm seine Lehrer an der Domschule erklärt hatten: »Ein guter Ehemann muss versuchen, die natürliche Verderbtheit seiner Frau zu kontrollieren, indem er einige Grundregeln befolgt. Die erste lautet, dass die Frau dem Manne Untertan sein solle: Sub potestate viri eris , heißt es in der Genesis. Die zweite, nach dem Buch Kohelet: Mulier si primatum haber …« Joan stockte. » Mulier si primatum habuerit, contraria est viro suo. Das heißt, wenn die Frau die Herrschaft im Haus übernimmt, wird sie ihrem Mann nicht gehorchen. Eine weitere Regel geht auf das Buch der Sprichwörter zurück: Qui delicate nutrit servum suum, inveniet contumacem . Wer jene mit Milde behandelt, die ihm dienen sollen – und dazu gehört auch die Frau –, wird dort Aufbegehren finden, wo er Bescheidenheit, Unterwürfigkeit und Gehorsam antreffen sollte. Und zeigt sich trotz alledem die Verderbtheit einer Frau, soll ihr Ehemann sie mit Scham und Angst strafen. Sie züchtigen, wenn sie jung ist, und nicht warten, bis sie alt ist.«
Arnau hörte seinem Bruder schweigend zu.
»Joan«, sagt er, als dieser geendet hatte, »glaubst du, ich könnte Aledis heiraten?«
»Natürlich! Aber du solltest noch ein wenig warten, bis du es in der Zunft zu etwas gebracht hast und sie ernähren kannst. In jedem Fall wäre es gut, wenn du mit ihrem Vater sprichst, bevor er sie einem anderen
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