Die Kathedrale des Meeres
sollte er ihm erzählen, dass sich sein Körper vor Verlangen nach Aledis verzehrte? Wie sollte er ihm erzählen, dass er nur dann Ruhe fand, wenn er immer schwerere Lasten auf seinen Schultern trug, bis sein Geist nur noch danach verlangte, ans Ziel zu kommen, und er darüber ihre Augen vergaß, ihr Lächeln, ihre Brüste, ihren ganzen Körper? Wie sollte er ihm erzählen, dass er jedes Mal, wenn Aledis ihr Spiel mit ihm trieb, die Kontrolle über seine Gedanken verlor und er sie nackt neben sich liegen sah und sich vorstellte, wie sie ihn liebkoste? Dann erinnerte er sich an die Worte des Pfarrers über verbotene Beziehungen. »Sünde! Sünde!«, mahnte dieser seine Gläubigen mit fester Stimme. Wie sollte er ihm erzählen, dass er erschöpft nach Hause kommen wollte, um todmüde auf sein Lager zu fallen und trotz der Nähe des Mädchens Schlaf zu finden?
»Nein, nein«, wiederholte er. »Danke, Ramon.«
»Er wird zusammenbrechen«, behauptete Josep bei Feierabend noch einmal.
Diesmal wagte Ramon nicht, ihm zu widersprechen.
»Findest du nicht, dass du zu weit gehst?«, fragte Alesta ihre Schwester eines Abends.
»Warum?«
»Wenn Vater davon erfährt …«
»Was sollte er erfahren?«
»Dass du Arnau liebst.«
»Ich liebe Arnau nicht! Es ist nur … er gefällt mir, Alesta. Wenn er mich ansieht …«
»Du liebst ihn«, beharrte die Jüngere.
»Nein. Wie soll ich es dir erklären? Wenn ich sehe, wie er mich ansieht, wie er errötet, dann ist das wie ein Kribbeln im ganzen Körper.«
»Du liebst ihn.«
»Nein. Schlaf jetzt! Was weißt du denn schon? Schlaf!«
»Du liebst ihn, du liebst ihn, du liebst ihn.«
Aledis beschloss, nicht zu antworten. Hatte ihre Schwester womöglich recht? Sie genoss es doch lediglich, sich beachtet und begehrt zu wissen. Es gefiel ihr, dass Arnau seine Augen nicht von ihrem Körper wenden konnte. Es bereitete ihr Genugtuung, seinen offensichtlichen Kummer zu bemerken, wenn sie aufhörte, ihn zu locken. War das Liebe? Aledis versuchte eine Antwort zu finden, doch schon nach kurzer Zeit kostete sie in Gedanken erneut dieses wohlige Gefühl aus, bevor sie schließlich einschlief.
Eines Morgens verließ Ramon den Strand, als er Joan vor Peres Haus treten sah, und ging zu ihm hinüber.
»Was ist mit deinem Bruder los?«, fragte er ihn, noch bevor er gegrüßt hatte.
Joan überlegte einige Sekunden.
»Ich glaube, er hat sich in Aledis verliebt, die Tochter von Gastó, dem Gerber.«
Ramon musste lachen.
»Dann ist es die Liebe, die ihn verrückt macht«, stellte er fest. »Wenn er so weitermacht, wird er zusammenbrechen. Man kann nicht in diesem Tempo durcharbeiten. Er ist nicht auf solche Anstrengung vorbereitet. Er wäre nicht der erste Bastaix, der zusammenbricht … Und dein Bruder ist zu jung, um als Krüppel zu enden. Unternimm etwas, Joan.«
Noch am selben Abend versuchte Joan, mit seinem Bruder zu sprechen.
»Was ist mit dir los, Arnau?«, fragte er ihn von seiner Matratze aus.
Dieser schwieg.
»Du musst es mir erzählen. Ich bin dein Bruder und ich will dir helfen. Du hast mir auch immer geholfen. Lass mich deine Probleme mit dir teilen!«
Joan ließ seinem Bruder Zeit, über seine Worte nachzudenken.
»Es ist … wegen Aledis«, gab Arnau zu. Joan wollte ihn nicht unterbrechen. »Ich weiß nicht, was mit diesem Mädchen los ist, Joan. Seit dem Spaziergang am Strand ist etwas anders zwischen uns. Sie sieht mich an, als wollte sie … Ich weiß nicht. Außerdem …«
»Außerdem was?«, fragte Joan, als sein Bruder verstummte.
Ich werde ihm nur von den Blicken erzählen, beschloss Arnau, während er an Aledis' Brüste dachte.
»Nichts.«
»Und wo liegt dann das Problem?«
»Ich habe schlechte Gedanken. Ich sehe sie nackt. Na ja, ich würde sie gerne nackt sehen. Ich würde gerne …«
Joan hatte seine Lehrer gebeten, diese Materie im Unterricht näher zu behandeln. Da sie nicht wussten, dass sein Interesse in der Sorge um seinen Bruder begründet lag, hatten sie befürchtet, der Junge könne der Versuchung erliegen und von dem Weg abkommen, den er so entschlossen begonnen hatte, und sich in Erklärungen über das Wesen und die wollüstige Natur der Frau ergangen.
»Es ist nicht deine Schuld«, behauptete Joan.
»Nein?«
»Nein. Die Verderbtheit«, flüsterte er über den Herd hinweg, neben dem sie schliefen, »ist eine der vier angeborenen Untugenden des Menschen, mit denen wir wegen der Erbsünde zur Welt kommen. Die Verderbtheit der Frau jedoch
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