Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kathedrale des Meeres

Titel: Die Kathedrale des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falcones Ildefonso
Vom Netzwerk:
schließlich eingewilligt. Fünfundzwanzigtausend Libras und fünfzehn Schuldige! So hatte das Angebot des Stadtrichters am nächsten Tag gelautet, nachdem er Rücksprache am Hof des Infanten Don Juan gehalten hatte.
    »Fünfzehn Schuldige? Ihr wollt wegen der Heimtücke von vier Lügnern fünfzehn Menschen hinrichten?«
    Der Stadtrichter hieb mit der Faust auf den Tisch.
    »Diese Lügner sind die heilige katholische Kirche.«
    »Du weißt genau, dass das nicht stimmt«, entgegnete Arnau.
    Die beiden Männer sahen sich an.
    »Keine Schuldigen«, erklärte Arnau.
    »Unmöglich. Der Infant …«
    »Keine Schuldigen! Fünfundzwanzigtausend Libras sind ein Vermögen.«
    Arnau verließ den Palast des Stadtrichters ohne festes Ziel. Was sollte er Hasdai sagen? Dass fünfzehn von ihnen sterben sollten? Aber er bekam das Bild der fünftausend Menschen nicht aus dem Kopf, die ohne Wasser und ohne Nahrung in einer Synagoge eingepfercht waren …
    »Wann kann ich mit einer Antwort rechnen?«, fragte er den Stadtrichter.
    »Der Infant ist auf der Jagd.«
    Auf der Jagd! Fünftausend Menschen wurden auf sein Geheiß gefangen gehalten, und er war zur Jagd gegangen. Von Barcelona zu den Besitzungen des Infanten in Gerona, der zugleich Graf von Gerona und Cervera war, waren es nicht mehr als drei Stunden zu Pferde, doch Arnau musste bis zum Abend des folgenden Tages warten, bevor er zum Stadtrichter bestellt wurde.
    »Fünfunddreißigtausend Libras und fünf Schuldige.«
    Tausend Libras für jeden Schuldigen weniger. Vielleicht war das der Preis eines Menschen, dachte Arnau.
    »Vierzigtausend ohne Schuldige.«
    »Nein.«
    »Ich werde mich an den König wenden.«
    »Du weißt doch, dass der König genug mit dem Krieg gegen Kastilien zu tun hat, um sich nicht auch noch mit seinem Sohn herumzuärgern. Schließlich hat er ihn zu seinem Stellvertreter ernannt.«
    »Fünfundvierzigtausend, aber ohne Schuldige.«
    »Nein, Arnau, nein …«
    »Frag ihn!«, entfuhr es Arnau. »Ich bitte dich«, setzte, er, milder, hinzu.
    Der Gestank, der aus der Synagoge drang, schlug Arnau bereits entgegen, als er noch ein gutes Stück entfernt war. In den Gassen des Judenviertels sah es noch verheerender aus als beim letzten Mal. Überall lagen Möbel und Hausrat der Juden herum. Aus dem Inneren der Häuser war das Hämmern der schwarzen Mönche zu hören, die auf der Suche nach dem Leib Christi Wände und Fußböden aufmeißelten. Arnau musste sich zusammenreißen, um ruhig zu erscheinen, als er Hasdai entgegentrat, der diesmal in Begleitung zweier Rabbiner und weiterer Vertreter der Gemeinde war. Arnaus Augen brannten. War es wegen des beißenden Uringestanks, der aus der Synagoge drang, oder wegen der Nachrichten, die er ihnen überbringen musste?
    Arnau beobachtete die Männer, die ihre Lungen mit frischer Luft füllten, während aus dem Gebäude Jammern und Stöhnen zu hören war. Wie mochte es da drinnen sein? Die Männer blickten auf die verwüsteten Straßen des Judenviertels, und für einen Moment stockte ihnen der Atem.
    »Sie fordern Schuldige«, sagte Arnau, als sich die fünf wieder gefasst hatten. »Wir haben mit fünfzehn begonnen. Jetzt sind wir bei fünf, und ich habe die Hoffnung, dass …«
    »Wir können nicht länger warten, Arnau Estanyol«, unterbrach ihn einer der Rabbiner. »Heute ist ein alter Mann gestorben. Er war krank, aber unsere Ärzte konnten nichts für ihn tun, sie konnten ihm nicht einmal die Lippen benetzen. Sie erlauben uns nicht, ihn zu bestatten. Weißt du, was das bedeutet?« Arnau nickte. »Morgen wird sich der Verwesungsgestank breitmachen …«
    »Wir können uns kaum rühren in der Synagoge«, sagte Hasdai. »Die Leute können nicht aufstehen, um ihre Notdurft zu verrichten. Die Mütter haben keine Milch mehr. Sie haben die Neugeborenen und auch die anderen Kinder gesäugt, um ihren Durst zu stillen. Wenn wir noch lange warten, sind fünf Schuldige eine Kleinigkeit.«
    »Und fünfundvierzigtausend Libras«, ergänzte Arnau.
    »Was interessiert uns das Geld, wenn uns allen der Tod droht?«, erklärte der andere Rabbiner.
    »Und nun?«, fragte Arnau.
    »Versuch es weiter, Arnau«, bat ihn Hasdai.
    Zehntausend Libras mehr machten dem Boten des Infanten Beine – vielleicht machte er sich gar nicht erst auf den Weg. Arnau wurde am nächsten Morgen vorgeladen. Drei Schuldige.
    »Sie sind Menschen!«, hielt Arnau dem Stadtrichter vor.
    »Sie sind Juden, Arnau. Sie sind nur Juden. Ketzer im Eigentum der Krone.

Weitere Kostenlose Bücher