Die Kathedrale des Meeres
Du bist ein guter Inquisitor, aber … Versuchst du womöglich, deinem Bruder zu helfen?« Joan senkte den Blick. »Ich kann dir lediglich sagen, dass es sich um eine ernste Sache handelt. Ich werde dir gestatten, ihn jederzeit zu besuchen, wenn du versprichst, dass deine Besuche dem Ziel dienen, ein Geständnis von Arnau zu erreichen.«
Zehn Peitschenhiebe, fünfzehn, fünfundzwanzig … Wie oft hatte er in den letzten Jahren diesen Befehl gegeben? »Bis er gesteht!«, hatte er den Büttel angewiesen, der ihn begleitete. Und nun forderte man ihn auf, seinen eigenen Bruder zu einem Geständnis zu bringen. Wie sollte er das erreichen? Joan wollte antworten, doch er kam nicht dazu.
»Es ist deine Pflicht«, erinnerte ihn Eimeric.
»Er ist mein Bruder. Er ist das Einzige, was ich habe …«
»Du hast die Kirche. Du hast uns, deine Brüder im Glauben.« Der Inquisitor ließ einige Sekunden verstreichen. »Bruder Joan, ich habe nur abgewartet, weil ich wusste, dass du kommen würdest. Wenn du nicht auf meinen Vorschlag eingehst, dann werde ich mich der Sache selbst annehmen müssen.«
Er konnte nicht verhindern, dass sich sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse verzog, als ihm der Gestank aus den Verliesen des Bischofspalasts entgegenschlug. Während er den Korridor entlangging, der ihn zu Arnau führen würde, hörte Joan das Wasser von den Wänden tropfen und das Trippeln der Ratten, die vor ihm davonhuschten. Er spürte, wie eine von ihnen an seinen Knöcheln entlangstrich. Diese Berührung stellte ihm die Nackenhaare auf, genau wie zuvor Nicolau Eimerics Drohung: »Dann werde ich mich der Sache selbst annehmen müssen.« Was hatte Arnau verbrochen? Wie sollte er ihm beibringen, dass er, sein eigener Bruder, sich verpflichtet hatte, ihn zu einem Geständnis zu bringen?
Der Kerkermeister öffnete die Tür des Verlieses. Ein großer, dunkler, übel riechender Raum lag vor Joan. Einige Schemen bewegten sich, und das Rasseln der Ketten, mit denen die Gefangenen an den Wänden festgeschmiedet waren, hallte dem Dominikaner in den Ohren wider. Er merkte, wie sein Magen rebellierte und ihm die Galle hochkam. »Da drüben«, sagte der Kerkermeister und deutete auf eine Gestalt, die in einer Ecke kauerte. Dann verließ er den Kerker, ohne eine Antwort abzuwarten. Als die Tür hinter ihm zuschlug, zuckte Joan zusammen. Er blieb am Eingang des Raumes stehen. Dunkelheit umfing ihn. Durch ein einziges, vergittertes Fenster hoch oben in der Wand fielen einige schwache Lichtstrahlen. Als der Kerkermeister gegangen war, begannen die Ketten zu klirren. Mehr als ein halbes Dutzend Schemen bewegte sich. Waren sie beruhigt, weil man sie nicht abgeholt hatte, oder war genau dies für sie Anlass zur Verzweiflung?, überlegte Joan, während nun ringsum Jammern und Stöhnen zu hören war. Er trat zu einem der Schemen, von dem er glaubte, dass es der war, auf den der Kerkermeister gezeigt hatte, doch als er neben der Gestalt niederkniete, blickte er in das von schwärenden Wunden entstellte, zahnlose Gesicht einer alten Frau.
Joan fiel hintenüber auf den Fußboden. »Arnau?«, wisperte er, während er versuchte, sich aufzurichten. Er rief noch einmal, lauter diesmal, in das Schweigen hinein, das er zur Antwort bekommen hatte.
»Joan?«
Rasch ging er der Stimme entgegen, die ihm den Weg zeigte. Wieder kniete er neben einer Gestalt nieder, nahm den Kopf seines Bruders in beide Hände und zog ihn an seine Brust.
»Heilige Jungfrau Maria! Was haben sie mit dir gemacht? Wie geht es dir?« Joan fuhr Arnau über das zottige Haar, die hervorstehenden Wangenknochen. »Gibt man dir nichts zu essen?«
»Doch«, antwortete Arnau. »Brot und Wasser.«
Joan betastete die Eisenringe um Arnaus Fußknöchel, dann zog er die Hände rasch zurück.
»Kannst du etwas für mich tun?«, fragte Arnau. Joan schwieg. »Du bist einer von ihnen. Du hast mir immer erzählt, dass der Inquisitor dich schätzt. Es ist unerträglich, Joan. Ich weiß nicht, seit wie vielen Tagen ich hier bin. Ich habe auf dich gewartet …«
»Ich bin gekommen, so schnell ich konnte.«
»Hast du schon mit dem Inquisitor gesprochen?«
»Ja.« Trotz der Dunkelheit wich Joan Arnaus Blick aus.
Die beiden Brüder schwiegen.
»Und?«, fragte Arnau schließlich.
»Was hast du getan, Arnau?«
Arnau packte Joan am Arm. »Wie kannst du denken …«
»Ich muss es wissen, Arnau. Ich muss wissen, wessen man dich beschuldigt, damit ich dir helfen kann. Du weißt, dass die
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