Die Kathedrale des Meeres
Jungfrau vorläufig unterbringen, neben dem Leib Christi und den Gebeinen der heiligen Eulàlia, damit sie keinen Schaden nimmt.«
»Und wer wird sie bewachen?«
»Keine Sorge«, antwortete der Priester, nun mit einem Lächeln auf den Lippen, »die Jungfrau wird gut bewacht sein. Die Sakramentskapelle gehört der Bruderschaft der Bastaixos. Sie besitzen den Schlüssel und werden deine Jungfrau bewachen.«
Arnau und Joanet kannten die Bastaixos inzwischen. Angel hatte ihnen ihre Namen genannt, wenn sie, einer hinter dem anderen, mit ihren riesigen Steinen beladen ankamen. Da war Ramon, den sie als Ersten kennengelernt hatten. Guillem, hart wie der Stein, den er auf seinem Rücken trug, von der Sonne gegerbt, das Gesicht von einem Unfall schrecklich entstellt, aber sanft und freundlich im Umgang. Ein weiterer Ramon, ›der Kleine‹ genannt, weil er kleiner war als der erste Ramon und von gedrungener Gestalt. Miquel, ein sehniger Mann, dem man gar nicht zutraute, dem Gewicht seiner Last standzuhalten, doch er schaffte es, indem er alle Sehnen seines Körpers anspannte, bis es aussah, als könnten sie jeden Augenblick reißen. Sebastià, der Schweigsamste unter ihnen, und sein Sohn Bastianet. Pere, Jaume und so viele andere Namen, die jenen Arbeitern aus dem Ribera-Viertel gehörten, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Tausende von Steinen, die für den Bau der Kirche benötigt wurden, vom königlichen Steinbruch La Roca nach Santa María del Mar zu schleppen.
Arnau dachte an die Bastaixos, daran, wie sie zu der Kirche hinübersahen, wenn sie, unter ihrer Last gebeugt, in Santa María ankamen. Wie sie lächelten, nachdem sie die Steine abgeladen hatten. Wie stark ihre Schultern waren. Er war sich sicher, dass sie seine Jungfrau gut beschützen würden.
Keine Woche später wurde in die Tat umgesetzt, was Berenguer de Montagut angekündigt hatte.
»Kommt morgen bei Tagesanbruch«, riet ihnen Angel, »wir ziehen den Schlussstein hoch.«
Und die Jungen waren da. Sie liefen hinter den Handwerkern herum, die sich allesamt vor den Gerüsten versammelt hatten. Es waren über hundert Personen: Arbeiter, Bastaixos und sogar Priester. Pater Albert hatte seinen Habit abgelegt und war gekleidet wie alle anderen. Um die Hüften trug er eine Schärpe aus festem rotem Stoff.
Arnau und Joanet mischten sich unter die Menge, wobei sie den einen oder anderen freundlich grüßten.
»Kinder«, sagte einer der Maurermeister zu ihnen, »wenn wir anfangen, den Schlussstein hochzuziehen, will ich euch hier nicht mehr sehen.«
Die beiden nickten.
»Und wo ist der Schlussstein?«, fragte Joanet und sah zu dem Meister auf.
Sie liefen zu der Stelle, die der Mann ihnen zeigte, vor dem ersten Gerüst, dem niedrigsten von allen.
»Gütige Jungfrau!«, riefen sie wie aus einer Kehle, als sie vor dem großen, runden Stein standen.
Auch viele der Männer betrachteten den Stein, doch sie schwiegen. Sie wussten, dass dies ein wichtiger Tag war.
»Er wiegt über sechstausend Kilo«, sagte jemand zu ihnen.
Joanet sah mit tellergroßen Augen zu Ramon hinüber, dem Bastaix, den er neben dem Stein entdeckt hatte.
»Nein«, erriet dieser seine Gedanken, »den haben wir nicht hergeschleppt.«
Die Bemerkung wurde mit nervösem Gelächter quittiert, das jedoch rasch wieder verstummte. Arnau und Joanet sahen, wie die Männer einer nach dem anderen vorbeikamen, den Stein betrachteten und dann zu den Gerüsten hinaufblickten. Sie mussten über sechstausend Kilo mithilfe von Seilen auf eine Höhe von dreißig Metern hinaufziehen!
»Wenn etwas schiefgeht …«, hörten sie einen von ihnen sagen, während er sich bekreuzigte.
»… wird er uns unter sich begraben«, brachte ein anderer den Satz zu Ende und biss sich auf die Lippen.
Niemand stand still. Sogar Pater Albert in seiner ungewohnten Kleidung lief unruhig zwischen den Männern umher, klopfte ihnen aufmunternd auf die Schultern und nahm sich Zeit für ein paar kurze Worte. Zwischen den Leuten und den Gerüsten erhob sich die alte Kirche. Viele sahen zu ihr herüber. Barceloneser Bürger begannen sich in einiger Entfernung von der Baustelle zu versammeln.
Schließlich erschien Berenguer de Montagut. Noch bevor ihn jemand grüßen konnte, schwang er sich auf das unterste Gerüst und wandte sich an die versammelte Menge. Während er sprach, befestigten einige Maurer einen großen Seilzug an dem Stein.
»Wie ihr seht«, rief Berenguer de Montagut, »wurden oben am Gerüst mehrere
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