Die Kathedrale des Meeres
als er sich an Arnau wandte.
»Dort ist sie«, sagte er und deutete zum Altar.
Arnau sah in die Richtung, in die der Priester wies, bis er eine kleine, schlichte Frauenfigur aus Stein entdeckte. Auf ihrer rechten Schulter saß ein Kind und zu ihren Füßen befand sich ein Schiff. Er blickte zu ihr auf. Die Frau hatte ein gütiges Gesicht. Seine Mutter!
»Wie heißt ihr?«, wollte der Priester wissen.
»Arnau Estanyol«, antwortete der eine.
»Joan, aber ich werde Joanet genannt«, erklärte der andere.
»Und der Nachname?«
Das Lächeln verschwand von Joanets Gesicht. Seine Mutter hatte ihm gesagt, dass er nicht den Nachnamen von Ponç, dem Kesselschmied, verwenden solle, da dieser sehr ungehalten sein würde, wenn er davon erfuhr. Ihren Namen sollte er allerdings auch nicht verwenden. Bislang war er nie in die Verlegenheit gekommen, jemandem seinen Nachnamen nennen zu müssen. Weshalb wollte ihn jetzt dieser Priester wissen?
»Genau wie er«, sagte er schließlich. »Estanyol.«
Arnau wandte sich zu ihm um und sah das Flehen in den Augen seines Freundes.
»Dann seid ihr also Brüder.«
»J … ja«, stotterte Joanet, als er Arnaus stillschweigendes Einverständnis bemerkte.
»Wisst ihr, wie man betet?«
»Ja«, antwortete Arnau.
»Ich nicht … noch nicht«, ergänzte Joanet.
»Dann lass es dir von deinem älteren Bruder beibringen«, sagte der Priester. »Ihr könnt nun zur Jungfrau beten. Und du komm mit mir, Angel. Ich habe eine Botschaft für deinen Meister. Da sind einige Steine, die …«
Die Stimme des Priesters verlor sich in der Ferne. Die beiden Jungen blieben vor dem Altar stehen.
»Muss man niederknien beim Beten?«, flüsterte Joanet Arnau zu.
Arnau wandte sich zu den Gestalten um, auf die Joanet deutete. Als Joanet zu den rotsamtenen Betschemeln ging, die vor dem Hauptaltar standen, hielt er ihn am Arm zurück.
»Die Leute knien auf dem Fußboden«, sagte er gleichfalls flüsternd, während er auf die Gläubigen zeigte. »Aber sie beten ja auch.«
»Und du?«
»Ich bete nicht. Ich spreche mit meiner Mutter. Du kniest doch auch nicht nieder, wenn du mit deiner Mutter sprichst, oder?«
Joanet sah ihn an. Nein, das tat er nicht …
»Aber der Priester hat nicht gesagt, dass wir mit ihr sprechen sollen. Nur, dass wir beten könnten.«
»Komm bloß nicht auf die Idee, dem Priester davon zu erzählen. Wenn du das tust, sage ich ihm, dass du gelogen hast und gar nicht mein Bruder bist.«
Joanet blieb neben Arnau stehen und betrachtete die vielen Schiffe, mit denen die Kirche geschmückt war. Er hätte gerne eines dieser Schiffe gehabt. Er fragte sich, ob sie wohl schwimmen konnten. Ganz bestimmt – wozu hätte man sie sonst schnitzen sollen? Er könnte mit einem dieser Schiffe zum Meer hinuntergehen und …
Arnau sah unverwandt zu der steinernen Figur auf. Was sollte er ihr sagen? Ob die Vögel ihr seine Botschaft überbracht hatten? Er hatte ihnen gesagt, dass er sie liebte. Er hatte es ihnen oft gesagt.
»Mein Vater hat gesagt, dass sie jetzt bei dir ist, auch wenn sie eine Maurin war. Aber das soll ich keinem erzählen, weil die Leute behaupten, dass die Mauren nicht in den Himmel kommen«, flüsterte er. »Sie war eine gute Frau. Sie hatte keine Schuld. Es war Margarida.«
Arnau sah die Jungfrau unverwandt an. Sie war von Dutzenden brennender Kerzen umgeben. Die Luft rings um die steinerne Figur vibrierte.
»Ist Habiba bei dir? Wenn du sie siehst, dann sag ihr, dass ich sie auch lieb habe. Du bist mir nicht böse, wenn ich sie lieb habe, oder? Auch wenn sie eine Maurin ist.«
Durch das Dämmerlicht und das Flackern der Kerzen hindurch sah Arnau, wie sich die Lippen der kleinen Statue zu einem Lächeln verzogen.
»Joanet!«, sagte er zu seinem Freund.
»Was ist?«
Arnau deutete auf die Jungfrau, doch nun waren ihre Lippen wieder … Vielleicht wollte die Jungfrau nicht, dass ein anderer das Lächeln sah. Vielleicht war es ein Geheimnis.
»Was denn?«, fragte Joanet noch einmal.
»Ach, nichts.«
»Habt ihr schon gebetet?«
Angel und der Priester waren zurückgekehrt.
»Ja«, antwortete Arnau.
»Ich konnte nicht, weil …«, versuchte sich Joanet zu entschuldigen.
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn der Priester freundlich und strich ihm übers Haar. »Und du, was hast du gebetet?«
»Das Ave Maria«, antwortete Arnau.
»Ein schönes Gebet. Nun lasst uns gehen«, setzte der Priester hinzu, während er sie zur Tür brachte.
»Pater«, fragte Arnau, als
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