Die Katze, die den Dieb vertrieb
und ich glaube ihm. Ich habe meinen Anwalt gebeten, ihn zu vertreten. Meiner Meinung nach hat ihm das jemand angehängt.«
Kemple wirkte erleichtert. »Das freut mich zu hören. Sagen Sie Ihrem Anwalt, wenn er will, werde ich mich bei der Verhandlung für Lennys Charakter verbürgen. Der Junge war viele Male in diesem Haus. Er war mit Tracy eng befreundet, als sie noch zur Schule gingen. Er war bekannt für seine Streiche, aber er würde gewiß niemandem etwas stehlen.«
»Spielen wir in diesem Alter nicht alle gerne anderen einen Streich?«
»Ja, aber er stellte sich dabei sehr raffiniert an. Ich erzähle Ihnen von einem seiner Streiche. Jedermann wußte, daß der Bürgermeister ein Verhältnis mit einer Frau hatte, die auf dem Postamt arbeitete. Eines Nachts malte Lenny große gelbe Fußspuren auf den Gehsteig, die vom Rathaus zum Postamt führten. Der Polizist beobachtete ihn dabei, aber es war ein so guter Scherz, daß er es vorzog, zu schweigen. Es war eine wasserlösliche Farbe, die schließlich vom Regen abgewaschen wurde. Aber glücklicherweise regnete es erst, als es die ganze Stadt gesehen hatte. Das war unser Lenny! Vivian und ich betrachteten ihn als zukünftigen Schwiegersohn.«
»Was ist passiert?«
»Tracy ist mit einem Footballspieler aus Sawdust City durchgebrannt. Sie ist impulsiv, und die Beziehung ging in die Brüche. Danach ist sie mit Bobbie heimgekommen und wohnt nun bei uns. Dann kam Lennys Freundin ums Leben, und er begann uns wieder zu besuchen.«
»Wie hat Tracy auf seine Verhaftung reagiert?«
»Sie machte sich Sorgen, das sah ich ihr an, aber mit mir spricht sie nicht darüber. Vielleicht wird sie sich ihrer Mutter anvertrauen. Ich bin froh, wenn Vivian wieder hier ist.« Er verstummte und dachte über die dunklen Familiengeschichten nach. »Wissen Sie, Tracy will immer hoch hinaus, und jetzt hat sie es auf Carter Lee James abgesehen. Da läuten bei mir als Vater natürlich die Alarmglocken. Ich will nicht, daß sie wieder enttäuscht wird. Mir scheint, daß alle Frauen seinetwegen ausflippen.«
»Verständlicherweise«, sagte Qwilleran. »Er hat eine sympathische Art, sieht gut aus und hat einen Traumberuf.«
»Das stimmt, und meine Tochter ist eine schöne junge Frau. James hat sie ein paarmal zum Essen ausgeführt. Seitdem macht sie sich Hoffnungen. Sie kommt spätnachts mit leuchtenden Augen nach Hause. Was kann ich da sagen? Sie ist eine erwachsene Frau. Sie will einen Ehemann, einen Vater für Bobbie und ein eigenes Heim. Dagegen ist nichts einzuwenden.«
»Ich will ja nicht abschweifen, aber… was sagt sie zu dem Pleasant-Street-Projekt?«
»Oh, sie ist Feuer und Flamme! Sie sagt, dadurch wird unsere Straße weltberühmt werden. Ich weiß nicht, ob mir diese Aussicht so zusagt… Aber hören Sie! Warum belaste ich Sie eigentlich mit meinen Problemen?«
»Das ist keine Belastung. Ganz und gar keine Belastung«, sagte Qwilleran. »Ich kann Sie verstehen. Ich weiß genau, was in Ihnen vorgeht.« Seine Anteilnahme war echt.
Als er von der Pleasant Street nach Hause fuhr, war er froh, keine elterliche Verantwortung tragen zu müssen. Es war Nachmittag, und er hatte den Tag mit den unterschiedlichsten Aktivitäten verbracht, von denen ihn die wenigsten persönlich betrafen. Seine angeborene Neugier brachte es mit sich, daß er immer wieder in die Probleme anderer Menschen involviert wurde. Was er jetzt brauchte, war eine schöne Dusche, eine Portion Eiskrem und ein interessantes Buch.
Die Katzen schliefen tief und fest. Erst als er die Kühlschranktür öffnete, wachten sie auf und meldeten sich in der Küche, um ein wenig Vanilleeis zu kosten. Danach lief Yum Yum fröhlich im Kreis herum, doch Koko konnte Qwillerans Gedanken lesen. Der Kater wußte, daß jetzt Lesestunde war. Er richtete sich am Regalschrank auf den Hinterbeinen auf und schnüffelte die Titel ab.
Die Regale enthielten ein paar Lieblingsbücher aus der Scheune, Neuerwerbungen von Eddington Smith und Geschenke von Freunden, die Qwillerans Liebe zu alten Büchern kannten. Kokos Nase wanderte jeden einzelnen Buchrücken entlang, von einem Buch zum anderen, bis sie plötzlich innehielt – und zwar bei Ossian und die ossianische Literatur, dem Buch von A. Hammel.
Qwilleran dachte: Möchte er damit einer wenig schmeichelhaften Meinung über mich Ausdruck verleihen, oder will er wirklich etwas über alte gälische Gedichte hören?
Obwohl Qwilleran eigentlich nicht in der Stimmung für eine wissenschaftliche
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