Die Katze, die den Dieb vertrieb.
lesen und Qwilleran Gedanken eingeben. Das tun mehr oder weniger alle Katzen, zur Fütterungszeit. Doch Koko setzte seine Fähigkeiten ein, wenn es um Gut und Böse ging. Er witterte Missetaten, und er konnte auf verschlungenen Pfaden Missetäter identifizieren. Melvilles Romane handelten sehr häufig von Gut und Böse; verstand Kao K’o Kung das?
War es ein Zufall, daß er Der Dieb aus dem Regal stieß, als in Pickax ständig irgendwelche Diebstähle begangen wurden?
Wenn man versuchte, auf solche Fragen Antworten zu finden, konnte man verrückt werden, hatte Qwilleran festgestellt. Wollte man einen kühlen Kopf bewahren, mußte man offen und aufgeschlossen bleiben. Einen Hinweis hatte er jedoch entdeckt: Normale Katzen haben vierundzwanzig Schnurrhaare, einschließlich der Augenbrauen. Koko hatte dreißig!
Zwischen Weihnachten und Neujahr nahm Qwilleran Celia Robinsons Enkelsohn mit zu einem Interview für die Zeitung. Eigentlich hatte er geplant, einen Gastwirt in Trawnto Beach zu interviewen, doch er dachte, ein Wünschelrutengänger in Pickax wäre für einen angehenden Wissenschaftler interessanter. Außerdem wohnte der Wünschelrutengänger in der Nähe, und Qwilleran brauchte nicht in der Gesellschaft eines altklugen Vierzehnjährigen sechzig Meilen mit dem Auto zu fahren. Zugegeben, der Sommer hatte sich besser für einen Artikel über einen Wünschelrutengänger geeignet, aber er konnte ja das Interview während Claytons Besuch machen und es dann auf Eis legen. Später, nach der Schneeschmelze im Frühling, würde Qwilleran den Mann dann noch einmal besuchen und sich seine geheimnisvolle Kunst vorführen lassen.
Als er auf Celias Parkplatz fuhr, sah er, daß Clayton auf der Schneefräse saß und ganze Schneefontänen auf seine Großmutter blies, während sie ihn fröhlich mit Schneebällen bombardierte. Die beiden klopften sich den Schnee von den Kleidern und gingen zu Qwillerans Auto. Celia stellte sie einander vor: »Mr. Qwilleran, das ist mein berühmter Enkelsohn… Clayton, das ist der berühmte Mr. Qwilleran. Ich nenne ihn Boß.«
»Hallo, Boß«, sagte der junge Mann und streckte ihm die Hand hin. Sein Händedruck zeugte vom Selbstvertrauen eines Teenagers, der ein Stipendium der besten Universität erwartet.
»Hallo, Doc«, erwiderte Qwilleran in Anspielung auf seine Rolle bei den Ermittlungen in Florida. Clayton machte den gesunden Eindruck eines Jungen, der auf dem Land aufgewachsen war, hatte ein intelligentes Gesicht, frisch geschnittenes Haar und eine tiefere Stimme, als Qwilleran vor einem Jahr auf dem Tonband gehört hatte. »Hast du deinen Fotoapparat dabei? Dann kann es ja losgehen!«
»Wohin fahren wir, Boß?« fragte Clayton, als sie in den Park Circle einbogen.
»Wir fahren in die Pleasant Street, um Gil MacMurchie zu interviewen. Seine Vorfahren sind ungefähr zur Zeit von Rob Roy aus Schottland hierhergekommen. Kennst du Rob Roy? Sir Walter Scott hat einen Roman geschrieben, der so heißt.«
»Ich habe den Film gesehen«, sagte Clayton. »Er hat Röcke getragen.«
»Er hat einen Kilt getragen, wie das bei den Schotten in den Highlands üblich war, wenn sie durch das nasse Heidekraut im Hochmoor marschierten. Es war auch ein Zeichen für die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan. Während des Jakobiteraufstands nahm man den Clans ihre Namen und vertrieb sie von ihrem Land. Rob Roy war der Clanführer der McGregors gewesen, aber er änderte seinen Namen in Campbell. ›Roy‹ bezieht sich auf seine roten Haare.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Ich lese. Liest du auch, Doc?«
»Ja, ich lese viel. Momentan lese ich Mein Weltbild von Einstein.«
»Freut mich, daß du nicht auf den Film wartest… Mr. MacMurchie war Klempner und Eisenwarenhändler. Jetzt ist er in Pension, aber immer noch als Wünschelrutengänger aktiv. Weißt du etwas über Wünschelruten?«
»Klar, die kenne ich! Als unser Brunnen austrocknete, hat mein Vater einen Wünschelrutengänger engagiert. Er ist mit einem Ast von einem Baum auf unserer Farm herumgegangen und hat eine Wasserader gefunden. Wie es funktioniert, weiß ich allerdings nicht.«
»Das weiß keiner genau, aber es gibt viele Vermutungen. Die Geologen sagen, es ist ein Ammenmärchen.«
»Was heißt das?«
»Das heißt so viel wie Überlieferung… Aberglaube. Aber die Verfechter dieser Technik sagen, Wünschelruten funktionieren, allen Kontroversen zum Trotz.«
Die Pleasant Street war eine alte Straße mit fachwerkartigen
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