Die Kaufmannstochter von Lübeck
seinen Töchtern hatte sich ausgerechnet diejenige, die dazu eine gewisse Begabung hatte, dazu entschlossen, ins Kloster zu gehen und ein Leben in gelehrter Enthaltsamkeit zu führen.
Für Wolfgang war diese Fügung der Dinge natürlich weitaus weniger glücklich, denn er war nun als potenzieller Schwiegersohn des großen Moritz von Dören ausgeschieden, obwohl er sich doch über einige Jahre berechtigte Hoffnungen hatte machen können. Eigentlich hatte es ja schon so ausgesehen, als würde alles auf ihn hinauslaufen. Doch dieser Traum hatte sich nun zerschlagen, und er würde bleiben, was er war – Prokurist, Vertrauter und Ratgeber seines Herrn.
Grete war mit der bevorstehenden Vermählung einverstanden, obwohl sie Pieter van Brugsma den Jüngeren kaum kannte. Auf einer Reise nach Flandern hatte sie ihn flüchtig kennengelernt. Grete war 22, Pieter gut zwölf Jahre älter. Ein freundlicher, blassgesichtiger Mann mit tiefliegenden blauen Augen und hellblondem, sich an der Stirn bereits deutlich lichtendem Haar. Er galt als gewiefter Händler und begnadeter Rechenkünstler, der den Abakus wie kaum ein zweiter zu verwenden wusste, was in den letzten Jahren nicht unerheblich zum geschäftlichen Erfolg des Hauses van Brugsma beigetragen hatte. Man sprach sogar davon, dass Pieter nach Art der Araber zu rechnen verstand, die die Mathematik zu einer Kunst entwickelt hatten, die für Unkundige beinahe wie Magie wirkte. Die große Liebe erwartete Grete wohl nicht bei diesem eher kühlen Mann, dem abgesehen von Verhandlungen schon ein einfaches, belangloses Gespräch schwerzufallen schien. Es schien unmöglich zu sein, mit ihm unbeschwert herumzuscherzen – geschweige denn, Gedanken und Empfindungen allein durch Blicke zu übertragen, wie es ihr oft genug mit Wolfgang geschehen war.
Aber das würde sich ja vielleicht noch einstellen, so sagte sich Grete. Und davon abgesehen wäre es ihr auch niemals in den Sinn gekommen, sich gegen eine arrangierte Heirat aufzulehnen, zumal es dafür auch keinen stichhaltigen Grund gegeben hätte.
Wolfgang war zwar ein netter Kerl, aber mit dem Erben des Hauses van Brugsma eben doch nicht zu vergleichen. Wolfgang stammte aus Dören, einem westfälischen Dorf, aus dem einst ihr Urahn Jacob nach Lübeck aufgebrochen war, kurz nachdem Herzog Heinrich der Löwe in der Nähe einer alten Slawensiedlung auf einer Halbinsel an der Trave Lübeck gegründet und zum ersten Ostseehafen des Reiches erhoben hatte. Einer von vielen Händlern und Handwerkern, die aus Westfalen gekommen waren wie auch die Familie von Brun Warendorp, dem derzeitigen Bürgermeister.
Ein Mann, der aus Dören stammte, so war Moritz’ Überzeugung, war in besonderer Weise vertrauenswürdig. Wolfgang war von Moritz schon als Halbwüchsiger ausgesucht und mit nach Lübeck genommen worden. Dort war er ausgebildet und in die Geschäfte eingeführt worden. Einen eigenen Sohn hätte Moritz von Dören nicht stärker prägen können als Wolfgang Prebendonk.
Und vielleicht war auch das ein Grund dafür, weshalb Grete Wolfgang zwar immer zugetan gewesen war, sich aber nie Gefühle entwickelt hatten, die stark genug gewesen wären, um dafür einen Bruch mit ihrem Vater in Kauf zu nehmen.
Und davon abgesehen reizte es Grete durchaus, die Herrin eines so bedeutenden Hauses zu werden – denn auch wenn die Familie von Dören innerhalb der Kaufmannsbruderschaft der lübischen Schonenfahrer eine bedeutende Rolle spielte, seit Moritz dort das Amt des Ältermanns innehatte, so waren die van Brugsmas aus Antwerpen, was Reichtum und Einfluss anging, noch um einiges bedeutender. Ihre Stimme wurde auf den Hansetagen gehört, und das van Brugsma’sche Haus war für seine unvergleichliche Pracht und Erhabenheit bekannt. Dort zu leben und – so stellte sich Grete das vor – auch zu herrschen war ganz nach ihrem Geschmack.
Johanna hingegen konnte so eine Haltung nicht nachvollziehen. Aber ihre Schwester war schon immer etwas mehr an den diesseitigen Dingen interessiert gewesen. Oberflächlicher Schein, wie Johanna ihr oft gesagt hatte. Denn was bedeutete schon ein großes Haus und Wohlstand, wenn man nicht das Wohlwollen des Herrn hatte. Pest und Unglück verschonten niemanden, nur weil er einen Sack voll Silber hinter der Tür stehen hatte. Hatte Jesus nicht gesagt, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr ginge, als ein Reicher ins Himmelreich käme? Sie war der festen Überzeugung, dass es auf die inneren Werte eines Menschen ankam.
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