Die Kaufmannstochter von Lübeck
Kaufmannsbruderschaft der Schonenfahrer, für die Mitglieder des Stadtrates, dessen langjähriges Mitglied Moritz von Dören war, für die Geschäftspartner und Angestellten des Handelshauses der Familie von Dören und hin und wieder auch eine Speisung für die Armen. Es war nicht nur gute Christenpflicht, sondern gehörte unter den Patriziern der Stadt auch einfach zum guten Ton. Durch eine Tür aus dunklem Holz, in die das geschnitzte Relief einer Kogge eingearbeitet war, gelangten die beiden Schwestern in einen Raum, der von jeher das Buchzimmer genannt worden war. Hier wurden die Geschäftsbücher geführt und aufbewahrt. Einen oder zwei Schreiber hatte Moritz von Dören zumeist angestellt, die ihm bei dieser wichtigen Arbeit halfen. Am meisten aber verließ sich der vor allem durch den Handel mit dem südschwedischen Schonen reich gewordene Fernhandelskaufmann auf seine Tochter Johanna. Sie hatte das Talent ihres Vaters für die Kunst des Rechnens anscheinend geerbt und war außerdem äußerst begabt im Lesen und Schreiben; und das sogar in mehreren Sprachen. Auch wenn das platte Niederdeutsch der Hanseaten fast überall um Nord- und Ostsee herum verstanden wurde, hatte es doch immer wieder Gelegenheiten gegeben, bei denen die Kenntnisse, die Johanna sich in der Lateinschule erworben hatte, von Nutzen gewesen waren.
Die Wände des Buchzimmers waren bis unter die Decke mit Regalen versehen, in denen die dicken, ledergebundenen Folianten standen, auf deren Seiten jeder Geschäftsvorgang seit fast zweihundert Jahren aufgezeichnet worden war. Eine Chronik des ehrbaren Kaufmannstums, so hatte Johanna ihren Vater oft voller Stolz sagen hören.
Es gab mehrere Schreibpulte, an denen gearbeitet werden konnte. Und in der Mitte befand sich eine breite Tafel aus dunklem Holz. Die Lehnen der dazugehörigen Stühle waren durch Schnitzereien reich verziert. Kaufmänner aus aller Herren Länder hatten an diesem Tisch schon gesessen und mit Generationen von Kaufleuten der Familie von Dören Geschäfte verhandelt. Stockfisch aus Schonen, Pelze aus Nowgorod, Bernstein aus dem Baltikum – darum wurde hier gefeilscht. Und dabei ging es zumeist nicht um Kleinigkeiten. Ganze Schiffsladungen wechselten an diesem Tisch den Besitzer.
Und jetzt Marzipan. Allerdings ging es da um wesentlich kleinere Mengen. Ein halbes Dutzend kleiner Krüge stand auf dem Tisch. Und deren Inhalt war mehr wert als eine ganze Kogge voller Stockfisch.
»Essbares Gold, Nektar der Könige, über unseren Freund Brugsma in Antwerpen frisch aus Venedig angeliefert«, sagte Moritz von Dören mit einem Glanz in den Augen, wie Johanna ihn nur noch sehr selten sah, seit ihre Mutter gestorben war.
Einer der versiegelten Krüge war geöffnet worden. Die grauweiße Masse darin verbreitete einen angenehm süßlichen Duft. Mit einem Messer hatte Moritz von Dören etwas davon auf einen Teller gestrichen. Die Portionen waren jeweils kaum größer als eine Messerspitze.
Grete strich über eines dieser kleinen Häufchen mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand. Das Marzipan blieb daran kleben und verschwand im nächsten Moment in ihrem Mund. Sie schloss die Augen.
»Und?«, fragte Moritz seine ältere Tochter. »Hält die Ware, was sie verspricht?«
Aber Grete ließ die Augen geschlossen und war einen Moment durch den süßen Wohlgeschmack offenbar derart entrückt, dass sie noch gar nicht in der Lage war, eine angemessene Antwort zu geben.
Etwas zögernd strich sich auch Johanna eine Fingerspitze dieser klebrigen Masse in den Mund. Sie schmeckte köstlich. Mit nichts anderem war dieser Geschmack vergleichbar.
»Zerriebene Mandeln und Zucker sollen die Hauptbestandteile sein«, fuhr Moritz fort, der es sich nicht nehmen ließ, noch eine weitere Messerspitze zu probieren. »Aber die venezianischen Apotheker vermeiden es tunlichst, die Feinheiten der Herstellung zu verraten.«
»Dann sollte man vielleicht eine Reise in die Länder der Araber unternehmen, von denen diese Köstlichkeit ja ursprünglich stammen soll«, mischte sich nun Wolfgang Prebendonk ein. Wolfgang war Prokurist des Handelshauses von Dören. Moritz vertraute dem etwa fünfunddreißigjährigen Mann mit dem ernsten Gesichtsausdruck und den aschblonden Haaren wie sonst kaum jemand anderem. Oft war er in wichtiger Mission und mit großer Entscheidungsbefugnis in Moritz’ Auftrag unterwegs. Egal, ob es darum ging, mit südschwedischen Kaufleuten in Schonen zu verhandeln oder Geschäfte in Antwerpen,
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