Die Kaufmannstochter von Lübeck
fort. »Bruder Emmerhart sagte, Ihr mögt Euch daran erinnern, dass er Euch bereits in Köln beigestanden habe.«
»Das ist wahr«, murmelte Johanna.
Als Johanna und Frederik nach einem Fußweg durch die halbe Stadt zum von Dören’schen Haus gelangten, war die Tür nicht verschlossen. Sie traten ein. Es war kalt und klamm wie in einem Haus, dessen Kamin lange nicht befeuert worden war.
Bruder Emmerhart erwartete sie in der Eingangshalle. Er hatte auf einem der Stühle Platz genommen.
»Es freut mich, dass Ihr mit Gottes Hilfe wohlbehalten nach Lübeck zurückgekehrt seid«, sagte Emmerhart. Sein Lächeln war so breit und maskenhaft, wie man es bei ihm gewohnt war. »Ich bin in der Zeit Eurer Abwesenheit mit der Verwaltung Eures Vermögens betraut worden und habe es, so gut es ging, zu erhalten versucht.«
»Dann will ich hoffen, dass Euch das gelungen ist«, sagte Johanna kühl, die ebenso wie Frederik noch immer nicht so recht wusste, was sie von dem Mönch zu halten hatte. Welches Spiel mochte er spielen? Was bezweckte er mit all den Winkelzügen, die er zu verantworten hatte? Er will sich nur selbst schützen, erkannte Johanna. Emmerhart hilft uns nicht, weil er unser Freund ist, sondern weil es ihm nützt. Und vielleicht werde ich nie ganz genau erfahren, worin dieser Nutzen besteht.
»Die Zeiten waren schwierig«, sagte Emmerhart. »Geschäftlich ging nicht alles so glatt, wie Ihr oder ich uns das erträumt haben.«
»Geschäftliche Sorgen waren in letzter Zeit wohl das geringste Übel, mit dem ich zu kämpfen hatte«, gab Johanna zurück.
»Mag sein. Wir beide waren ja in Köln voller Begeisterung für die Künste dieses Marzipanmachers, der von sich behauptete, aus Venedig zu stammen, und in Wahrheit am Niederrhein zu Hause war.«
»Was ist mit ihm?«
»Auf und davon. Wir hätten die Bedenken Eures Vaters damals vielleicht ernster nehmen sollen. Die Zeit für diese Medizin scheint in Lübeck noch nicht reif zu sein. Zumindest nicht, wenn man damit Gewinn erzielen will.«
Er hat selbst etwas mit dem Tod von Pieter van Brugsma dem Jüngeren zu tun oder stand mit dem Mörder in Verbindung, dachte Johanna. Wie gut es sich doch fügt, jetzt alle Schuld auf einen Toten abwälzen zu können.
Wer mochte schon wissen, ob die Dokumente, die Emmerhart vorgelegt hatte, nicht gefälscht waren. Wenn jemand dazu in der Lage war, dann zweifellos ein Mann, der des Schreibens und Lesens so kundig war wie Emmerhart.
»Ich gehe davon aus, dass die Schulden, die sich auf meiner Apotheke durch unsere gemeinsamen Geschäfte angehäuft haben, vom Haus von Dören rechtmäßig beglichen wurden«, erklärte Emmerhart.
»Damit wollt Ihr mir sagen, dass einiges in der Schatztruhe des Hauses fehlt«, stellte Johanna fest.
»Das war unvermeidlich. Aber ich bin froh, dass Ihr wieder in Freiheit seid und sich alle Vorwürfe gegen Euch und Herrn Frederik in Wohlgefallen aufgelöst haben.«
»Da das Vermögen sonst der Stadt zugefallen wäre und Ihr auf Euren Schulden sitzen geblieben wärt?«, fragte Frederik nun.
Emmerhart bedachte Frederik nur mit einem kurzen Blick und faltete die Hände. »Manchmal fügt der Herr die Dinge wunderbar zusammen.«
»Ja, das tut er«, sagte Johanna.
»So will ich mich nun zurückziehen und überlasse Euch Euren Plänen und Eurer Zukunft.«
Noch bevor Emmerhart die Tür erreicht hatte, sprach Johanna ihn noch einmal an. »Bruder Emmerhart …«
Er drehte sich halb herum. »Gibt es noch etwas zu besprechen?«
»Ihr erwähntet, dass Ihr Euch zurückziehen wollt.«
»Für den Moment – ja.«
»Wie wäre es, wenn Ihr in näherer Zukunft einen noch weitergehenden und dauerhafteren Rückzug in Erwägung ziehen würdet? Einen Rückzug, wie er für einen Priester und Mönch angemessen erscheint, den die Ablenkung der Stadt vergessen ließ, was die Nachfolge Christi bedeutet …«
»Wie bitte?«
»… und der wohl auch vergaß, dass ein Priester das Beichtgeheimnis nicht brechen darf. Die Mönche von St. Johannis wählten vor langer Zeit die Einsamkeit der holsteinischen Ödnis, um der Sünde zu entsagen. Vielleicht solltet Ihr das auch in Erwägung ziehen. Und für Eure verschuldete Apotheke wäre gesorgt – treuhänderisch.«
Der Blick, den Emmerhart Johanna nun zuwandte, war so eiskalt wie die Steine der Kerkerwände, denen Johanna gerade entkommen war. Sein Lächeln wirkte wie gefroren.
»Ich werde es in Erwägung ziehen«, versprach er.
E pilog
Lübeck, den 8. August
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