Die Kaufmannstochter von Lübeck
wie du manchmal tust, Johanna?«
»Sind wir nicht?«
Grete schüttelte zögernd den Kopf. »Nein, ich denke nicht. Ich glaube, tief hinter deinem gottgefälligen Äußeren verbirgt sich ein Vulkan der Sünde, stets in der Gefahr auszubrechen.«
»Ach …«
»Als ich in Antwerpen war, hat Pieter mir vom Vesuv erzählt, einem Vulkan in Neapel. Weißt du, er ist schon einige Male dorthin gereist, um die Handelsinteressen seines Hauses zu vertreten, und träumt davon, eines Tages den Venezianern und Genuesen ein Schnippchen schlagen und den Handel mit Konstantinopel und den Ländern der Muslime direkt abwickeln zu können – ohne dass die Zwischenhändler in Italien den größten Teil des Gewinns einstreichen.«
»Es scheint, als hätte dein zukünftiger Gemahl ehrgeizige Pläne«, stellte Johanna fest.
»Ja, das hat er. Aber darauf will ich jetzt nicht hinaus.«
Johanna hob die Augenbrauen. »Und worauf dann?«
»Niemand weiß, wann der Vesuv das nächste Mal ausbrechen wird. Er hat in der Vergangenheit schon mehrfach seine feurige Masse emporsteigen lassen und ganze Städte unter Asche und geschmolzenem Gestein begraben. Nur Gott allein weiß, ob und wann das wieder geschehen wird. Pieter sagt, dass die Gegend jetzt ruhig und friedlich aussieht. Manchmal steigt etwas Rauch auf, aber ansonsten ließe sich nicht einmal erahnen, welche Gewalt unter dem Krater schlummert.«
»Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was ein Vulkan in Italien mit mir zu tun haben sollte.«
»Könnte es nicht sein, dass du genauso bist, Schwester? Äußerlich scheint alles ruhig und friedlich, aber unter der Oberfläche brodelt es, und niemand ahnt, was sich da tief unter der Oberfläche zusammenbraut.«
Johanna lächelte verlegen. »Du redest Unsinn«, sagte sie.
Grete zuckte mit den Schultern. »Da bin ich mir gar nicht so sicher … Auf jeden Fall wärst du nicht die Erste, die nach außen hin so heilig tut und in deren Innerem es in Wahrheit ganz anders aussieht.«
Johannas Gesicht wurde jetzt sehr ernst. Gretes Worte hatten sie bis ins Mark getroffen. Die Worte ihrer Schwester ärgerten sie über die Maßen. »Wie kannst du wissen, wie es in meinem Inneren aussieht!«, empörte sie sich. »Und überhaupt! Die einzige Macht, der ich gehorchen will, ist die Macht Gottes. Ihm habe ich mich ganz und gar unterworfen.«
»Wirklich?«, fragte Grete, und in ihren ansonsten so weich wirkenden Gesichtszügen zeigte sich nun ein hintergründiges, durchtriebenes Lächeln. »Dann bist du ja vielleicht tatsächlich eine Heilige, Johanna!«
Auch wenn die Schwestern sich meistens gut verstanden und einander sehr nahe waren, blieb doch immer eine gewisse Rivalität zwischen ihnen, die ab und zu in Form von spitzen Bemerkungen hervorbrach.
Für Grete war es immer schwierig gewesen zu akzeptieren, dass Johanna für ihren Vater eine so herausragende Rolle als Vertraute und Gehilfin in Geschäftsdingen spielte. Die Begabung für die Rechenkunst war Grete nun einmal nicht gegeben, und sie besaß auch nicht den Heiligenschein einer von der Pest Genesenen. Allein wegen der Pestheilung schien Moritz von Dören seine zweite Tochter mit anderen Augen zu sehen als seine erste. Doch nun, da Grete sich anschickte, die Frau eines der bedeutendsten Fernhändler der ganzen Hanse zu werden, gerieten die Waagschalen noch einmal gehörig in Bewegung. Eine gute Heirat fiel mehr ins Gewicht als selbst alles Geschick in geschäftlichen Dingen oder die Fähigkeit, große Zahlen zu überblicken und den Profit frühzeitig zu erkennen, den ein Handel einbrachte.
Königreiche waren durch Hochzeiten schneller erobert worden als durch irgendeinen Feldzug – und Ähnliches galt wohl auch für Handelshäuser und Märkte.
»Eine Woche noch, dann brechen wir zum Hansetag in Köln auf«, sagte Johanna. »Dann wird sich dein Leben ziemlich verändern, glaube ich …«
»Du kommst mit?«
»Ich habe Vater versprochen, meinen Klostereintritt noch um ein paar Monate zu verschieben. Gerade jetzt braucht er mich dringend. Die Schwierigkeiten mit König Waldemar haben sich ja seit geraumer Zeit angekündigt, und Vater hat so lange darauf hingewirkt, dass sich die Hansestädte endlich zusammentun und angemessen auf Waldemars Angriffe reagieren können.«
»Es ist das dritte Mal, dass du deinen Klostereintritt verschiebst, Johanna.«
Johanna zuckte mit den Schultern. »Ja, ich weiß.«
»Und jedes Mal wird Vater dir einen Grund nennen können, weshalb du für ihn
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