Die Keltennadel
war. Ein ungeöffneter gelber Briefumschlag lag auf dem Grund der Eingangsbox, und daneben stand das Wort »Hüter«. Es würde warten müssen.
Eine Stunde später brachte er Mrs Sherry zur Tür, und als er ins Arbeitszimmer zurückging, kam Charlie mit einer Kanne Kaffee und einem Teller Keksen aus der Küche.
»Hier, Herr Pfarrer, Kaffee, damit Sie wach bleiben.« Charlie stellte das Tablett auf den Schreibtisch und sah neugierig zu, wie der Priester seinen PC startete und mit der Maus die E- Mail öffnete.
»Danke, Charlie. Ich muss erst noch diesen Brief aus den Staaten lesen, aber dann unterhalten wir uns.«
»Nein, nein, schon in Ordnung. Mir geht’s prima. Ich wollte sowieso gerade gehen.« Er ging und verließ das Haus, wie er gekommen war, durch die Küche. Lavelle begann zu lesen.
VON: BRAD GUTERSON, CULTWATCH, CHICAGO
Hallo, Liam, es hat eine Weile gedauert, bis ich die Hüter des Siebten Siegels gefunden habe, weil a) mehrere Vereine mit ähnlichen Namen hier existieren, b) dieser spezielle sich anscheinend aufgelöst hat.
Aber rate mal, wer einer der führenden Köpfe in der Organisation war? Dein alter Freund Michael Roberts… erinnerst du dich an den Zwischenfall mit Opus Dei? Mike hat sich danach anderen Dingen zugewandt, zum Beispiel den Penitentes in New Mexico. Wir kennen einige seiner Schritte aus dieser Zeit, weil wir nach dem Zwischenfall auf dem Campus ein paar mögliche Opfer in Umlauf setzten und einige Treffer landeten. Die Hüter waren ursprünglich eine Wüstenkommune in New Mexico und nannten sich die »Adventisten vom Siebenten Siegel«; denen hat sich Roberts angeschlossen. Im März 2000 reisten sie nach Israel, wurden unter dem Verdacht, es handle sich um eine Selbstmordsekte, ausgewiesen und bei ihrer Rückkehr vom FBI verhört. Infolge von Streitigkeiten trennte sich Roberts von ihnen und gründete einen extremeren Flügel. Unter dem neuen Namen Hüter des Siebten Siegels zogen sie an die Ostküste, in den Norden des Staates New York, angeblich gibt es in der Nähe keltische (jawohl: keltische!) Dolmen und Menhire. Diesen Teil der Geschichte haben wir von einem ehemaligen Mitglied namens Jerry Rawlings, der sich in N. Y. an Cultwatch wandte und letztes Jahr dort an unserem Aussteigerprogramm teilnahm. (Versuche im Moment den Mann ausfindig zu machen. Wir ermitteln anhand von Aufzeichnungen, die sein damaliger Berater gemacht hat.) Laut Rawlings führten die Hüter ein Leben voll harter Askese, vermischt mit apokalyptischen Überzeugungen. Roberts war offenbar versessen auf »missionarische« Tätigkeiten, die ihn und andere für bestimmte Zeiträume von der Gemeinde wegführten. Während einer solchen Abwesenheit vor etwa achtzehn Monaten begannen andere Mitglieder zu murren, und als die Missionare wiederkamen, hatten sie eine Rebellion am Hals. Roberts löste die Gemeinde auf, und sie zerstreuten sich.
Seitdem gibt es keine Spur von Roberts, und leider tauchte bei unseren Nachforschungen bisher auch keine Hazel Wade auf.
Du fehlst uns.
Brad Lavelle starrte einige Minuten lang auf den Schirm. Das Schrillen des Telefons erschreckte ihn, sodass er es halb vom Schreibtisch stieß und Mühe hatte, es richtig zu fassen zu bekommen. Er hörte die blecherne Stimme aus dem Hörer.
»Hallo? Sind Sie das… Liam? Hier ist Jane, ich wollte nur fragen… ?«
»Jane! Tut mir leid, ich war gerade ganz woanders. Ich habe Antwort aus Chicago erhalten, wegen der Hüter des Siebten Siegels… Sie haben mich doch gebeten, nachzufragen.«
»Und, wie sieht es aus?«
»Leider keine Nachricht von Hazel. Aber dafür etwas anderes, eine Verbindung, an die ich nie im Leben gedacht hätte… es wird eine Weile dauern, bis ich das erklärt habe.«
»Ich habe Sie wegen einer völlig anderen Sache angerufen… ich möchte, dass Sie sich etwas anhören, und wollte vorschlagen, Sie schauen heute Abend bei mir vorbei. Es gibt auch was zu essen… falls Sie Zeit haben?«
»Ich habe bis acht Uhr hier Dienst – danach könnte ich kommen.«
»Schön. Mögen Sie Hühnchen?«
»Ja – und ich bringe Wein mit, wenn Sie einverstanden sind… auf diese Neuigkeit brauche ich einen Drink. Sie müssen mir nur noch erklären, wie ich Sie in Ryevale finde.«
20
A n jenem Sommerabend waren sie zu dritt, alles Priesterstudenten, mit dem Bus vom Clonliffe Seminar nach Howth Head auf der Nordseite der Dublin Bay gefahren. Dort gab es nahe dem Leuchtturm von Bailey eine kleine, abgelegene Bucht, in der sie gern
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