Die Ketzerbraut. Roman
seiner Seite hing ein langer Hirschfänger, und als er näher kam, sah man, dass noch ein Dolch in seinem Gürtel steckte.
Neugierig beugte Veva sich aus ihrer Sänfte und musterte den Fremden. Der Mann machte keinen guten Eindruck auf sie, und sie hätte ihren Bruder am liebsten gebeten weiterzureiten. Doch Bartl zügelte sein Pferd und befahl auch den Knechten anzuhalten.
»Was gibt es, guter Mann?«, fragte er.
Der Fremde blieb vor ihm stehen und sah mit schräg gelegtem Kopf zu ihm auf. »Hier kommt Ihr nicht durch, denn weiter oben wird die Straße durch einen Erdrutsch blockiert. Aber ich kenne einen anderen Weg, auf dem Ihr diese Stelle umgehen könnt. Wenn Ihr mir folgen wollt …« Er machte eine einladende Handbewegung in Richtung des abzweigenden Pfades.
»Danke, guter Mann! Das ist rechter Rat zur rechten Zeit.« Bartl beugte sich vom Pferd, um dem Fremden auf die Schulter zu klopfen, und lenkte sein Pferd auf den schmäleren Weg.
Der Anführer der Eskorte versuchte, ihn aufzuhalten. »Sollten wir nicht besser nachschauen, ob das, was der Kerl da behauptet, auch stimmt?«
»Willst du mich der Lüge zeihen?«, fuhr der Fremde auf und griff zu seinem Hirschfänger.
»Natürlich nicht«, erklärte Bartl. »Aber wenn wir jetzt weiterreiten und dann umkehren müssen, erreichen wir die nächste Herberge nicht mehr, und ich will meiner Schwester nicht zumuten, die Nacht mitten in der Wildnis zu verbringen.«
»Auf diesem Weg gibt es ein Stück weiter oben eine ordentliche Herberge, in der sogar Herrschaften einkehren«, versicherte der Fremde. »Wenn Ihr mich für meinen Rat belohnen wollt, könnt Ihr mir dort die Unterkunft, ein Stück Braten und einen oder zwei Becher Wein bezahlen.«
»Das tu ich gerne«, versprach Bartl.
Damit war die Entscheidung getroffen. Die sechs Bewaffneten und die vier Knechte, die zu dem Reisezug gehörten, bogen ohne weiteren Widerspruch in den ihnen gewiesenen Pfad ein. Veva jedoch wurde das Gefühl nicht los, der Fremde mache sich über Bartl lustig. Sie fasste sich ein Herz und bat ihren Bruder, lieber die breitere Straße zu nehmen.
Doch Bartl lachte sie aus und nannte sie ein dummes kleines Mädchen.
2.
N ach kurzer Zeit wurde der Weg so schmal, dass die beiden Karren, die mit Vevas persönlichem Besitz beladen waren, nur noch mit Mühe vorwärtskamen. Die Maultiere gerieten auf dem Anstieg in Schweiß und begannen vor Erschöpfung zu zittern. Daher gab Bartl den Knechten den Befehl, die Wagen an den steilsten Stellen zu schieben.
Als die Felsblöcke noch enger zusammenrückten, maß Bartl ihren selbsternannten Führer mit einem zornigen Blick. »Sagtest du nicht, dieser Weg wäre gut zu befahren? Er ist kaum mehr als ein Ziegenpfad!«
»Weiter vorne wird es besser«, erklärte der Mann. »Das hier ist noch die bayrische Seite. Bald erreichen wir Klosterland, und dort achten die Mönche besser auf ihre Straßen als die Amtsleute des Herzogs.«
»Wollen wir’s hoffen«, brummte Bartl, drehte sich um und warf einen Blick auf die Sänfte seiner Schwester.
Gerne hätte er ihr diesen beschwerlichen Weg erspart. Es war ohnehin nicht leicht für sie, die Heimat zu verlassen, um in Innsbruck einen ihr fast unbekannten Mann zu heiraten. Er selbst hielt Friedrich Antscheller für einen argen Tropf und gewiss nicht für den Bräutigam, den er seiner Schwester gewünscht hätte. Ihm war es ein Rätsel, warum sein Vater sie so weit weg verheiraten wollte. In München hätte es durchaus ansehnliche Bewerber gegeben. Mit Rudolf Ligsalz und Anton Impler waren sogar Angehörige ratsfähiger Sippen an Veva interessiert gewesen. Auch seinen Freund Benedikt Haselegner hätte er lieber zum Schwager gehabt als den Innsbrucker Kaufmannssohn.
Doch sein Vater hatte sowohl eine Verbindung zu den Ligsalzens als auch zu den Implers abgelehnt, was vermutlich daran lag, dass sein Vater in der Gemein mit den Vätern der Brautwerber mehrfach hart aneinandergeraten war. Als der Name Haselegner gefallen war, hatte er sogar einen Wutanfall bekommen, ohne zu verraten, warum er Bartls Freund Benedikt so verabscheute.
Während er über die Beweggründe seines Vaters rätselte, wurde Bartl bewusst, wie wenig er über dessen Leben und die Geschäfte wusste. Er konnte weder sagen, welche Freunde oder Feinde Bartholomäus Leibert hatte, noch, mit wem er Handel trieb. Bisher hatte er das Leben genossen und seinen Spaß gehabt. Anstatt sich Gedanken über die Handelsbeziehungen seines Vaters zu
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