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Die Kinder der Nibelungen (German Edition)

Die Kinder der Nibelungen (German Edition)

Titel: Die Kinder der Nibelungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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lassen.
    Taumelnd, schwankend kletterten sie bergauf. Von links sahen sie noch zwei Gruppen wie Gespenster aus dem Dunst hervortreten.
    »Hört ihr das?« Siggis Stimme war heiser. »Was ist das?«
    »Was?«, fragte Hagen zurück.
    »Lauscht!«, rief Siggi.
    »Gesang …?« Gunhilds Stimme klang unsicher.
    In der Ferne klang Gesang auf, aber es war kein fröhliches Lied, das da gesungen wurde. Die Weise hatte etwas Bedrohliches. Aber da waren noch mehr Geräusche. Dumpfer Trommelschlag, Schreie und das Klirren von Metall auf Metall.
    »Was ist da los?«, wollte Siggi wissen.
    »Das hört sich fast an … wie eine altertümliche Schlacht …«, sagte Hagen ungläubig.
    »Und wir werden dahin getrieben.« Gunhilds Stimme war voller Furcht.
    Doch ihnen blieb keine wirkliche Wahl: Entweder die Gestalten hinter ihnen schnappten sie, oder sie rannten in die Schlacht oder was immer das für ein Getöse war.
    »Weiter! Es ist unsere einzige Chance …«, gab Gunhild wieder das Kommando.
    Siggi spürte die Verzweiflung aufsteigen. In was für ein Abenteuer waren sie hineingeraten? Sie wurden von unheimlichen Gestalten durch den Wald gehetzt; vor ihnen tobte eine Schlacht mit Schwertern … Er wünschte, er würde schreiend aufwachen, aber nichts geschah. Siggi spürte die schmerzenden Wunden, welche die Dornen und Ranken der Brombeeren gerissen hatten. Da wusste er endgültig, dass er nicht träumte; denn im Traum hat man keine Schmerzen, man spürt sie nicht, weil sie in Wirklichkeit nicht da sind.
    Aber aufgeben wollte er nicht. Er konnte sich genauso lange auf den Beinen halten wie Gunhild oder Hagen. Er würde laufen, bis sie alle entkommen war oder bis sie …
    »Hierher!«
    Eine Stimme drang an Siggis Ohr und riss ihn aus seinen Gedanken. Die Kinder blieben abrupt stehen; starr vor Schreck starrten sie vor sich durch das dämmerige Zwielicht, wo der wabernde Nebel von einer plötzlichen Bö aufgerissen wurde. Ein Blitz schuf einen wilden Lichtreflex, und in diesem Moment löste sich eine hoch gewachsene Gestalt aus den Schatten der Bäume.
    Es war ein Mann, der ein weiten Umhang und einen tief herabhängenden Schlapphut trug, so dass seine Gesichtszüge unkenntlich blieben. Er stützte sich auf einen langen Stab.
    Auf seiner Schulter hockte ein großer schwarzer Vogel; aus dem Geäst über ihm flog ein Schatten heran. Siggi, Gunhild und Hagen fuhren zusammen. Der Mann lachte. Es war ein Vertrauen erweckendes, beinahe väterliches Lachen.
    »Beruhigt euch, Kinder! Geht hier entlang, und folgt den Raben! Sie werden euch den Weg weisen. Folgt ihnen, und ihr kommt in Sicherheit!«
    Der Nebel, der alle Geräusche dämpfte, gab der tiefen Stimme etwas seltsam Zwingendes, als hielte die Welt für einen Augenblick den Atem an. Einen Moment schien der Mann angespannt zu lauschen, dann winkte er ihnen mit seiner Linken.
    »Beeilt euch, und habt keine Angst. Folgt nur den Raben …«, sagte er dann und verschwand im Schatten der Bäume.
    Die Vögel flogen auf, und die Kinder setzten sich in Bewegung, ohne ein Wort miteinander zu wechseln oder sich auch nur anzusehen. Es war nicht notwendig. Aber darüber dachte keiner von ihnen nach. Es war das Einzige, was sie tun konnten.
    Es schien, als wüssten die beiden Raben genau, was von ihnen verlangt wurde. Siggi wusste, Raben und Krähen waren kluge Vögel, denn sein Onkel Rolf hatte mal eine Rabenkrähe gehabt, und dieses schwarze Huhn, wie Onkel Rolf immer gesagt hatte, war verdammt schlau gewesen. Aber noch am hellen Nachmittag auf dem Berg hätte Siggi abgestritten, dass diese Vögel imstande wäre, Menschen durch einen Wald zu führen.
    Doch diese Vögel schienen es zu können. Sie kreisten langsam vor ihnen zwischen den Bäumen. Auf wundersame Weise teilte sich der Nebel, und es wurde nie zu dämmerig, so dass sie die Raben nie aus den Augen verloren.
    Dann schwebten die Raben über dem Hang, und insgeheim hegte Siggi die Befürchtung, dass ihr Weg nun zu Ende war, aber ein kleiner, gar nicht mal so schmaler Grat führte nach unten.
    Sie folgten dem Weg, ohne zu zögern. Die Raben hingen in völliger Stille und Erhabenheit über ihnen und schienen über sie zu wachen. Der Schlachtenlärm, das dumpfe Trommeln und der bedrohliche Gesang blieben allmählich zurück, vermischten sich mit einem Donnergrollen, und als die Kinder den Abstieg beendet hatten, war nichts mehr davon zu hören.
    Unten war kein Weg im Wald, aber ihre gefiederten Führer wussten, welche Richtung sie

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