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Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra

Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra

Titel: Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. B. Kerr
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Geruch nach Mottenkugeln, wie John bemerkte.
    »Fledermäuse hassen Mottenkugeln«, sagte Mrs   Gaunt.
    Das Dach schien in ausgezeichnetem Zustand zu sein. Durch eine Luke fiel Licht, doch es war ein trüber, wolkenverhangener Tag, sodass der Dachboden düster und voller Schatten blieb. Trotzdem bemerkte John einen Riss in der Wand. Er erkannte ihn sogar wieder.
    »Das ist derselbe Riss wie in der Wand hinter meinem Bett«, sagte er. »Er ist aufgetaucht, kurz bevor uns die Weisheitszähne gezogen wurden. Und er reicht bis hier herauf.«
    »Ich schlage vor, du folgst ihm, John«, riet ihm die Mutter.
    Der Riss führte sie in den hinteren Teil des Dachbodens, hinter einen Kaltwassertank, zu zwei alten, mit Tüchern verhängten Staffeleien.
    »Das, was ihr sucht, findet ihr unter den Tüchern«, sagte Mrs   Gaunt.
    John packte das eine Tuch, Philippa das andere.
    »Na los«, sagte Mrs   Gaunt, die ihr Zögern bemerkte. »Worauf wartet ihr noch?«
    »Ich habe Angst«, sagte John.
    »Ich auch«, sagte Philippa.
    Mrs   Gaunt sah sich auf dem Speicher um. »Nun gut«, sagte sie. »Es ist ziemlich düster hier oben.«
    Sie sagte das Fokuswort, mit dem sie ihre Dschinnkräfte bündelte: NEPHELOKOKKYGIA. Es ließ den Dachboden aufleuchten wie einen Sommertag. Die beiden Tücher fielen von den Staffeleien und gaben zwei Spiegel frei.
    Es waren seltsame Spiegel aus Metall, mit einer konvexen Glasoberfläche und einer reich verzierten Rückseite. Das Seltsamste daran aber war, dass vom Fenster einfallendes Licht von der Vorderseite des Spiegels reflektiert wurde und dort ein fast leuchtendes Abbild der reich verzierten Spiegelrückseite erzeugte, aber kein Abbild dessen, was sich vor dem Spiegel befand. John stellte sich direkt davor und zog die Schultern hoch. »Versteh ich nicht«, sagte er. »Entweder bin ich ein Vampir, der kein eigenes Spiegelbild hat, oder das ist irgendein Trick.«
    »Schau nicht auf die Vorderseite, du Schaf«, sagte seine Mutter und lachte. »Die zeigt dir überhaupt nichts.« Sie machte mit der Hand eine Kreisbewegung. »Geh zur Rückseite. Das ist die Stirnseite eines Synopados.«
    Beklommen traten die Zwillinge zur Rückseite der prunkvollen, orientalisch anmutenden Metallspiegel, die ein leuchtendes Bild abzustrahlen schienen, wie etwas, das von einem ganz anderen Ort reflektiert wurde als dem Dachboden eines alten Sandsteingebäudes in New York City. Während die Zwillinge die Bilder, die ihre Seelen darstellten, fasziniert betrachteten, erzählte die Mutter ihnen von Vorstellungen und Begriffen, die sie nicht ganz verstanden:
    »Geist und Materie, Körper und Seele, Fleisch und Psyche – nur den Dschinn ist es gegeben, das Geheimnis zu verstehen, wo man selbst endet und der andere anfängt, und die Absurditätdessen zu erkennen, was diese Salonprediger und Psychofatzken von sich geben. Was sich euch hier offenbart, Kinder, ist die Quelle des Lebens! Stellt euch nur vor, wie viele Irdische schon davon geträumt haben, in sich hineinzublicken und wirklich verstehen zu können, wer und was sie sind. Auf der einen Seite des Spiegels: die Welt ohne euch darin, denn alles Fleisch ist vergänglich. Auf der anderen Seite: die Seele, die sich im Schatten verbirgt. Doch nur ihr allein dürft sie sehen. Niemand sonst sollte ihrer ansichtig werden, denn nur ihr könnt bestimmen, wie sie aussieht. Aus diesem Grund sind die Spiegel hier oben versteckt. Ein Synopados ist das Geheimnis eines Dschinn, etwas ganz und gar Persönliches.«
    Sie schwieg, um die Kinder für einen Moment mit ihren Gedanken allein zu lassen.
    »Faszinierend«, flüsterte Philippa, die das, was sie als ihr eigenes Ich vor sich sah, nur halb wiedererkannte, weil etwas in dem leuchtend bunten Bild sich ständig zu verändern schien und es geheimnisvoll und unbeschreiblich wirken ließ. Im einen Moment war es dies und im nächsten das. Und doch war es ein sehr angenehmer Anblick und hatte Ähnlichkeit mit etwas, das sie einmal in einer Computerdarstellung gesehen hatte und das Fraktal genannt wurde – eine Art sich ständig veränderndes, mathematisch erzeugtes Muster in einem Muster.
    John hatte ganz ähnliche Gedanken wie seine Schwester. Doch nur für einen kurzen Moment, dann fielen ihm die fünfzig Dollar wieder ein, die seine Mutter dem Obdachlosen gegeben hatte, und tief in seinem Inneren ärgerte er sich über ihre Großzügigkeit. Die Vorstellung, dass sie jemandem, derihre Großzügigkeit weniger verdient hatte als er selbst,

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