Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
dass ich eigentlich erst ein Jahr alt bin?«, fragte John seine Mutter, die ebenfalls ein Dschinn war.
»Richtig, Liebling«, erwiderte Mrs Gaunt.
»Du machst Witze«, sagte John mit entrüstetem Gesicht.
»Und auf unserem Kuchen wird nur eine einzige Kerze stehen?«, fragte Philippa.
»Genau. Feuer auf einem Kuchen ist übrigens ein Brauch, den die Menschen von uns übernommen haben.«
Doch John war nicht gewillt, sich ablenken zu lassen. »Aber das ist unfair«, sagte er. »Und ziemlich peinlich. Wenn einer unsrer Partygäste davon Wind bekommt, wird man uns auslachen.«
»Das glaube ich nicht, Liebling«, sagte Mrs Gaunt. »Außerdem werden ohnehin nur Dschinn kommen. Ich fürchte, das ist eine weitere Tradition, der du dich beugen musst.«
Obwohl die Zwillinge geplant hatten, zu ihrer Party einige irdische Freunde einzuladen, war es mehr als offensichtlich, dass Mrs Gaunt bereits anderweitig entschieden hatte. Und es war unverkennbar, dass jede Diskussion darüber zwecklos war. Seit die beiden aus Babylon zurückgekehrt waren, wirkte Mrs Gaunt distanzierter und schien wenig gewillt zu sein, von ihren Kindern Widerspruch zu dulden. Die zwei ahnten auch weiterhin nicht, dass ihre Mutter sie bald verlassen würde, um der nächste Blaue Dschinn von Babylon zu werden.
»Nicht dass sonderlich viele Dschinn kommen werden«, fügte sie hinzu. »Euer Geburtstag fällt dieses Jahr mit
Samum
zusammen, einem Dschinn-Feiertag, an dem die meisten New Yorker Dschinn nicht in der Stadt sein werden.« Sie hob die Schultern. »Aber das lässt sich nicht ändern. Es ist völlig undenkbar, seinen ersten Geburtstag nicht am richtigen Tag zu feiern.«
»Samum?«
, wiederholte Philippa. »Was ist das?«
»Wörtlich bedeutet es ›Rauch ohne Feuer‹«, erklärte Mrs Gaunt. »Also genau das, was bei einer Transsubstantiation geschieht.
Samum
ist der Tag, an dem wir unser Dasein als Dschinn feiern.«
»Aber wir kennen keine anderen Dschinnkinder«, sagte John. »Außer Dybbuk.«
»Und die schreckliche Lilith de Ghulle«, fügte Philippa hinzu. »Und
die
lade ich bestimmt nicht ein.«
»Ich habe bereits einige Dschinnkinder eingeladen«, erklärte Mrs Gaunt. »Die meisten werden natürlich mit ihren Eltern die Stadt verlassen. Aber ein paar haben ihr Kommen zugesagt.«
»Ein paar?«, sagte John. »Wie viele?«
»Vier«, antwortete Mrs Gaunt.
»Das klingt eher nach einer Kartenrunde als nach einer Party«, stellte John fest.
»Es wird nichts davon werden, wenn wir nicht bald ein paar Einkäufe erledigen«, sagte Mrs Gaunt.
Sie gingen ein paar Häuserblocks weiter bis zu einem kleinen Supermarkt an der Third Avenue, wo Mrs Gaunt Lebensmittel und eine Zeitung kaufte: Die Schlagzeile auf der Titelseite meldete einen weiteren Einbruch in eine Zahnarztpraxis in Manhattan – den zehnten in diesem Monat. John und Philippa betraten den Laden und versuchten dabei, den Obdachlosen nicht zu beachten, der mit einem leeren Pappbecher in der Hand vor der Eingangstür saß und um Kleingeld bat. Zur Überraschung ihrer Kinder – von der noch größeren Überraschung des Obdachlosen ganz zu schweigen – öffnete Mrs Gaunt ihre Geldbörse, nahm einen Fünfzig-Dollar-Schein heraus und steckte ihn in den Pappbecher. Überglücklich stand der Mann auf, zog seine schmuddelige Baseballkappe vom Kopf und bedankte sich überschwänglich. Drinnen im Supermarkt schauten die Zwillinge ihre Mutter ungläubig an. Bisher hatten sie nie weiter darauf geachtet, wenn ihre Mutter Obdachlosen Geld gab; aber dies hier ließ sich einfach nicht übersehen. Fünfzig Dollar waren schließlich fünfzig Dollar.
»Fünfzig Piepen«, sagte John kopfschüttelnd. »Du hast dem Typ fünfzig Piepen geschenkt. Du wolltest ihm doch sicher nur fünf geben.«
»Nein, Liebling. Ich habe ihm genau das gegeben, was ich ihm geben wollte.«
»Aber fünfzig Piepen«, sagte John wieder. »Was wird er damit anstellen? Er könnte es für alles Mögliche ausgeben.«
»Genau darum geht es doch, mein Schatz«, sagte Mrs Gaunt.
»Du weißt, was ich meine. Gibst du Obdachlosen immer fünfzig Dollar?«
»Vielleicht«, antwortete sie. »Ich war selbst einmal obdachlos. Ich weiß, was es heißt, auf der Straße zu leben.«
Beim Anblick von Layla Gaunt, mit ihrem Pelzmantel, der Handtasche aus Straußenleder und ihren teuren Designerschuhen, hätte jeder Mühe gehabt, das zu glauben – nicht nur ihre eigenen Kinder. Mrs Gaunt verströmte
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