Die Kinder des Ketzers
Zeit war knapp bemessen damals, denn das kriegsgeplagte Volk gierte nach Aufheiterung, die Proben zum neuesten Stück meines Schwagers waren in vollem Gange, und Reisen war in jenen unsicheren Zeiten gefährlicher denn je. Dennoch brachen wir auf Richtung Lubéron, meine Schwester, ihre Familie und ich, begleitet von einigen Leuten der Truppe, der Sicherheit wegen. Wir erreichten Castelblanc gerade noch rechtzeitig zur Beerdigung. Die Jahre und die Zeiten hatten uns älter, erfahrener und, wer weiß, auch weiser gemacht, aber Castelblanc hatten sie nicht verändert. Vielleicht waren die Bäume am Rand des Hofes etwas höher, vielleicht hatte der Bach, der die westliche Grenze der Domäne bildete, seinen Lauf etwas verändert, doch ansonsten war es noch immer das klobige Steingebäude inmitten von Obst-und Gemüsegärten, umwoben von dem ewigen Rätsel, wer auf den Gedanken verfallen war, jenem Haufen schmutziggrauer Steine den Namen Castelblanc zu geben.
Die nächste Kirchstatt ist in Oppède gelegen, und dort war es, dass Madaleno de Castelblanc, geborene Auban, verwitwete Bèufort, am Morgen des 22. April zu Grabe getragen wurde. Die Beerdigung war ein gesellschaftliches Ereignis. Aus dem halben Lubéron kamen die Kutschen vorgefahren, lieferten all die Seigneurs, Chevaliers, Barons und deren mitfühlende Gattinnen vor dem schmiedeeisernen Tor des Kirchhofs ab, von wo aus sie in einer 11
langen Prozession in das kleine Kirchlein einzogen, so dass der brave Priester ganz blass wurde angesichts all der vornehmen Röcke, hochgeschlossenen Fächerkragen und eleganten Federhüte der Edelmänner und all der langen, gebauschten schwarzen Kleider mit ihren weit gefächerten weißen Kragen, aus denen die Köpfe der Damen hervorragten wie die Stempel aus einem Blütenkelch. Die guten Nachbarn, die Forbin-Oppèdes, gewissermaßen die Gastgeber, zogen als letzte in der Kirche ein, um auf ihren thronähnlich erhöhten Sitzen an der rechten Wand Platz zu nehmen, und die Messe begann. Die vornehmen Damen senkten fromm ihre Köpfe und bekreuzigten sich, als der Priester das Requiem las, während ihre Augen von links nach rechts huschten, vom Kleid der einen
– «Schamlos, dieser Ausschnitt! Und das in der Messe!» – zur Kette der anderen – «Die hat es wohl nötig, wo jeder weiß, dass sie bei einem Juden in der Schuld stehen!» –, und die frommen Herren zogen ihre Hüte, und alles war edel, würdevoll und katholisch, vom Domine vobiscum bis zum Miserere nobis.
Diejenigen Bürger von Oppède, die sich nicht zu schade dazu waren, standen am Zaun jenseits des Friedhofs und genossen das Schauspiel der aus dem Kirchlein filierenden Damen und Herren, wie sie sonst nur den Maskenzug am Mardi gras genossen. Vier Diener trugen den Sarg, und Seite an Seite folgte ihm die edle Gesellschaft bis zur Grabstätte der Castelblancs, wo die Totengräber neben Frederi dem Älteren und Maria geborene Varcou eine neue Grube ausgehoben hatten. Ein eleganter Zug, fürwahr, die Herren trugen ihre guten Stiefel, die Damen ihre feine Spitze zur Schau, die Gesellschaft schillerte vor Vornehmheit, Adel und Hochmut, und das sanfte Gesäusel des Klatsches brandete selbst während des priesterlichen Segens an jedes noch so andächtige Ohr. Habt Ihr gesehen, die Marondour, wie züchtig sie tut, und dabei weiß
doch jeder, wie sie es mit dem Seigneur Alence hält, und der Säugling der Alard ist ausgesprochen kräftig für ein Sechsmonatskind, findet Ihr nicht auch? Ich trug es ihnen nicht nach, natürlich waren sie gekommen, um gesehen zu werden und nicht um Madaleno de Castelblanc die letzte Ehre zu erweisen, und schließlich hätte es meine Mutter an ihrer Stelle nicht anders getan. Eigentlich, so dachte ich, war dies eine Beerdigung in ihrem Sinne. 12
Nichts jedoch lieferte den feinen Herrschaften mehr Gesprächsstoff als wir. Meine Schwester und ich haben die Unverfrorenheit besessen, unsere Familie, unseren Stand, unser Blut zu verraten, indem wir einer Tätigkeit nachgingen, die unserer Stellung unwürdig war, indem wir unter unserem Stand heirateten, indem wir uns mit Menschen umgaben, die in den Augen jener Edelleute gerade gut genug waren, ihre Fußböden zu schrubben und ihre Pferde zu füttern. Als wir Castelblanc nach jener unglücklichen Geschichte um Agnes Degrelho verlassen hatten, waren wir noch nahezu Kinder gewesen. Jahre der Wanderschaft hatten Catarino und ihren Mann auf seiner Flucht vor den wirklichen und imaginären Geistern
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