Die Kinderhexe
Kilian, konnte keine größere Geschäftigkeit herrschen.
Ein Knecht löste die Ketten. «Absteigen, elende Brut. Jetzt ist’s so weit.»
Mit Tritten und Schlägen verhalf er seinen Worten Nachdruck. Ein anderer Knecht führte sie die Gerichtsschranne hinauf, die ringsum von bewaffneten Stadtknechten gegen Übergriffe der Bürger geschützt wurde.
Bösartiger Jubel brauste auf, als die Bürger Kathi erkannten. Noch vor ein paar Tagen war sie ihre Heilsbringerin gewesen, hatte Hexen erkannt und Zauberern das Handwerk gelegt. Jetzt war sie selbst dem Zauber erlegen. Das Verbrechen wog schwer, denn durch ihre Schuld waren andere Kinder ins Verderben gestoßen und Familien auseinandergerissen worden.
Eine wohlbekannte Kinderstimme drang an ihr Ohr. «Eins, zwei, drei, Teufelsnarretei. Vier, fünf, sechs, heut’ brennt die kleine Hex’ …»
Der schwachsinnige Andreß tanzte und schnitt Grimassen. Umgeben war er von einer Gruppe Kinder, die sie sehr gut kannte. An ihrer Spitze stand Pfarrer Ludwig. Wie immer wollte er sie zum Gebet anhalten, doch die wenigsten folgten seinen Worten. Stattdessen starrten sie Kathi an – die einen voller Trauer und Mitleid, die anderen hasserfüllt.
Kathi schaute in ihre Gesichter und ahnte ihre Gedanken.
Da war Grit, Ludwigs Favoritin, seine auserwählte Maria Magdalena. Sie hatte den Kampf um die Vorherrschaft unter den Hexenbesagern für sich entschieden. Das kindliche Aussehen hatte sie mittlerweile abgelegt. Nun trug sie das feine Gewand eines Engels, das mit einem Kreuz und Goldfäden verziert war. Sie lächelte triumphierend herauf.
Neben ihr stand Anna. Sie musste vom Tod Felicitas’ erfahren haben. Die geglückte Rache hatte ihr offenbar keine Erleichterung verschafft. Den Blickkontakt zu Kathi mied sie.
Ängstlich und geduckt versuchten sich Ulrich und Benedikt aus der vorderen Reihe zurückzuziehen. Wenn Kathi es nicht geschafft hatte, sich Faltermayer vom Hals zu halten, wie lange würde es dann dauern, bis er auf sie aufmerksam wurde? Die von ihnen beschuldigten Lehrmeister hatten durch Kathis Gefangennahme neue Hoffnung geschöpft. Sie setzten alles daran, die Glaubwürdigkeit der Kinder in Zweifel zu ziehen. Kathis Verurteilung war das beste Argument, das sie in die Hände bekommen konnten.
Barbara und Otto war das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Wie war es nur so weit gekommen? In den vergangenen Tagen hatten sie sich an die Hoffnung geklammert, dass alles noch ein gutes Ende nehmen, Kathi den Befragungen Faltermayers trotzen und aus dem Kerker freikommen werde. Aber nun war alles vergebens. Sie hatte den Kampf verloren.
Dessen war sich auch Ludwig bewusst. Nun musste es ohne sie weitergehen. Er würde gleich morgen darangehen, seine Gemeinde zügig auszubauen, und ein aufmerksames Auge darauf haben, dass sich Ähnliches wie im Fall Kathi nicht wiederholte. Nicht auszudenken, wenn ein weiteres Kind seiner Gruppe des Pakts mit dem Teufel bezichtigt wurde. Er brauchte mehr Kontrolle über sie. Ein eigenes Kinderhaus war dafür unabdingbar, in dem sie ganz und gar unter seiner Aufsicht standen und von der Welt abgeschottet waren. Er würde deswegen bald beim Bischof vorstellig werden.
Aber wo war Helene? Kathi schaute die Reihen entlang. Einerseits hoffte sie, einen letzten Blick auf ihre Mutter werfen zu können, bevor es an die Urteilsvollstreckung ging, zugleich betete sie, dass sie rechtzeitig Stadt und Land verlassen hatte, um sich vor dem Zugriff Faltermayers zu schützen. Sie musste nach Heinrich suchen. Vielleicht hatte Lorentz doch nicht gelogen, und er war noch am Leben.
Da, das Gesicht völlig unscheinbar unter einem Kopftuch verborgen, erkannte sie ihre Mutter. Sie weinte. An ihrer Seite stand ein Mann, der sie tröstend in den Arm genommen hatte, Christian Dornbusch. Er gab ihr Kraft und Halt. Es war ein schönes Bild. Würden die beiden sich weiter stützen, sich helfen, sich vielleicht als Mann und Weib finden? Dann war ihr Tod doch noch zu etwas gut. Der Gedanke erleichterte sie. Sie lächelte ihnen zu.
Der Malefizschreiber gab den Trommlern Anweisung, für Ruhe zu sorgen. Er hatte die Anklageschriften vor sich auf dem Tisch ausgebreitet, und der Henker und seine Gehilfen hatten ihr Werkzeug auf die Bühne geschafft. Nun war alles vorbereitet. Der größte Brandtag in der Geschichte der Stadt, bei dem die ersten Kinderhexen gerichtet wurden, konnte beginnen. Allein wer fehlte, waren der Hexenkommissar und der Bischof. Sie hatten
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