Die Klaue des Schlichters
hatte wenig Sinn, ihn jetzt daran zu erinnern. Keiner auf dem Schafott ist so anfällig für Nervosität wie der ländliche Beamte. Er wird hin- und hergerissen zwischen dem brennenden Verlangen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen (was ihm bei einer Hinrichtung verwehrt bleibt) und der ziemlich berechtigten Furcht, er könnte sich durch mangelndes Geschick und Wissen unvorteilhaft verhalten. Der feigste Klient, der mit der Gewißheit, daß ihm nun die Augen ausgestochen würden, die Stufen besteigt, legt in neunzehn von zwanzig Fällen ein besseres Betragen an den Tag. Selbst ein scheuer Klostermönch, der das Geschrei der Menschen nicht gewohnt ist und den Tränen einschüchtern, ist verläßlicher.
Jemand rief: »Bringt’s hinter euch!«
Ich betrachtete Morwenna. Mit ihrem ausgehungerten Gesicht und reinen Teint, dem versonnenen Lächeln und den großen, dunklen Augen war sie eine Gefangene, die leicht das nicht gerade wünschenswerte Mitleid der Menge auf sich ziehen konnte.
»Auf den Block könnten wir sie setzen«, schlug ich dem Alkalden vor. Ich konnte es mir nicht verkneifen hinzuzufügen: »Dafür ist er sowieso geeigneter.«
»Wir haben nichts zum Binden.«
Da ich mir bereits eine Bemerkung zuviel erlaubt hatte, ließ ich es sein, ihm meine Meinung über solche Leute zu sagen, die ihre Gefangenen in Fesseln haben müssen.
Vielmehr legte ich Terminus Est flach hinter den Richtblock, ließ Morwenna Platz nehmen, hob die Arme zum alten Gruß, ergriff das Eisen mit der Rechten und brannte, während ich ihre Hände mit der Linken packte, das Mal in ihre Wangen, woraufhin ich das fast noch weißglühende Eisen in die Höhe hielt. Der Aufschrei hatte die Menge zunächst verstummen lassen; nun brüllte alles.
Der Alkalde richtete sich, den Talar glättend, auf und schien ein neuer Mann. »Zeig sie ihnen!« sagte er.
Ich hatte zwar gehofft, das bliebe mir erspart, half aber Morwenna beim Aufstehen. Ich nahm ihre rechte Hand, als führte ich sie auf den Tanzboden, und langsam schritten wir im Kreis übers Blutgerüst. Hethor war außer sich vor Entzücken, und obschon ich seine Stimme zu überhören versuchte, vernahm ich, wie er bei den Leuten um sich herum damit prahlte, mich zu kennen. Eusebia streckte ihr Bukett zu Morwenna empor und rief: »Hier, die brauchst du bald!«
Als wir den Kreis vollendet hatten, blickte ich zum Alkalden und erhielt nach der zwangsläufigen Pause, die eintrat, weil er sich nach dem Grund für mein Zaudern fragte, das Zeichen zum Fortfahren.
Morwenna flüsterte: »Wird es bald vorüber sein?«
»Es ist schon fast vorüber.« Ich hatte sie wieder auf den Block gesetzt und hob mein Schwert auf. »Schließ die Augen. Bedenke, daß fast jeder, der gelebt hat, auch gestorben ist, sogar der Schlichter, der wie die Neue Sonne auferstehen wird.«
Ihre bleichen Lider mit den langen Wimpern senkten sich, so daß sie das erhobene Schwert nicht sah. Der blitzende Stahl ließ die Menge abermals verstummen, und als vollständige Ruhe herrschte, ließ ich die flache Klinge auf ihre Oberschenkel niedersausen, daß ihr Fleisch nur so klatschte; hinzu kam das Krachen der berstenden Knochen, hell und rein wie das Knacks! Knacks! der Faustschläge – links, rechts – eines siegreichen Boxers. Für einen Augenblick verharrte Morwenna besinnungslos, aber ohne umzukippen, auf dem Richtblock; in diesem Augenblick tat ich einen Schritt zurück und schlug ihr mit dem schwungvollen, waagrechten Hieb, der um soviel schwieriger als der senkrechte ist, den Kopf ab.
Um ehrlich zu sein, erst als ich die aufschießende Blutfontäne sah und das Aufplumpsen des Kopfes auf dem Gerüst hörte, wußte ich, daß er abgetrennt war. Ohne es zu merken, war ich so nervös wie der Alkalde gewesen.
Das ist der Zeitpunkt, wo – wiederum durch alte Tradition –die übliche Amtswürde der Zunft gelockert wird. Ich wollte lachen und Luftsprünge machen. Der Alkalde schüttelte mich an den Schultern und lallte, wonach auch mir zumute war, in einem fort; was er redete, verstand ich nicht – irgend welche fröhlichen Spaße. Ich hielt mein Schwert hoch ebenso wie den Kopf, den ich am Haarschopf packte, und stolzierte über das Schafott. Nicht nur einmal im Kreise, sondern immer wieder, drei- und viermal. Es war Wind aufgekommen; er bespritzte meine Maske, meinen Arm und die bloße Brust mit Blut. Die Menge grölte mir die unvermeidlichen Witze zu: »Willst du auch meinem Weib (meinem Mann) die Haare
Weitere Kostenlose Bücher