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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ausgesprochene Abscheu davor; ich habe zu viele Rattenbisse bei den Klienten in der Oubliette unter unserem Turm gesehen.
    »Was ist’ s?«
    »Etwas Weißes.« Ich ging um den Tisch, um nachzusehen. »Ein Blatt Papier. Jemand hat einen Zettel durch die Tür geschoben.«
    »Wieder eine, die mit dir schlafen will«, meinte Jonas, aber ich hatte ihn bereits aufgehoben. Es war tatsächlich eine feine Frauenschrift in gräulicher Tinte auf Pergament. Ich hielt ihn dicht an die Kerze und las.
     
    Liebster Severian,
    von einem meiner gütigen Helfer habe ich erfahren, daß Du im Dorf Saltus bist, nicht weit von hier. Es klingt zu schön, um wahr zu sein, aber zunächst muß ich herausfinden, ob Du mir verzeihen kannst.
    Ich schwöre Dir, wenn Du meinetwegen gelitten hast, so ist das nicht meine Wahl gewesen. Von Anfang an wollte ich Dir alles sagen, aber das lehnten die anderen strikt ab. Sie waren der Meinung, daß niemand davon wissen solle, der nicht davon wissen müsse (also keiner außer ihnen), und drohten mir schließlich offen, daß sie den Plan aufgeben und mich sterben lassen würden, falls ich ihnen nicht in allem gehorche. Ich wußte, Du würdest für mich in den Tod gehen, und durfte deshalb wohl hoffen, daß Du – hättest Du wählen können – auch bereit gewesen wärst, für mich zu leiden. Verzeih mir.
    Nun bin ich jedoch weg und fast frei – mein eigener Herr, solange ich die einfachen, humanen Anordnungen des guten Vater Inire befolge. Also will ich Dir alles sagen und hoffen, daß Du mir auch wirklich verzeihst, nachdem Du alles erfahren hast.
    Du weißt von meiner Haft. Du wirst auch noch wissen, wie sehr Dein Meister Gurloes um mein Wohlbefinden besorgt gewesen ist, wie häufig er mich in der Zelle besucht hat, um mit mir zu sprechen, oder mich hat zu sich bringen lassen, um von ihm und den anderen Meistern vernommen zu werden. Das geschah deswegen, weil mein Schutzherr, der gute Vater Inire, ihn angewiesen hatte, mich unbedingt zuvorkommend zu behandeln.
    Als sich schließlich herausstellte, daß der Autarch mich nicht befreien würde, traf Vater Inire eigene Vorkehrungen dazu. Ich habe keine Ahnung, in welcher Weise Meister Gurloes eingeschüchtert oder bestochen worden ist. Jedenfalls machte es Eindruck auf ihn, so daß er mir wenige Tage vor meinem Tod – wie Du, liebster Severian, dachtest – erklärte, wie die Sache ablaufen sollte. Mich nur entkommen zu lassen, reichte natürlich nicht aus. Ich mußte so befreit werden, daß ich nicht gesucht würde. Das heißt, es mußte also den Anschein haben, daß ich tot sei; dennoch hatte Meister Gurloes Weisungen, daß ich keinesfalls sterben dürfte.
    Du wirst Dir nun vorstellen können, wie wir dieses Gewirr von Hindernissen überwunden haben. Es wurde so eingerichtet, daß ein Gerät zur Anwendung kam, das nur innere Wirkungen zeitigte und das Meister Gurloes zuvor so entschärft hatte, daß ich keinen ernsten Schaden erlitte. Wenn Du mich in Agonie wähntest, sollte ich von Dir ein Mittel erbitten, mein qualvolles Leben zu beenden. Alles lief planmäßig. Du übergabst mir das Messer, und ich ritzte damit einen flachen Schnitt in den Arm, hockte mich vor die Tür, damit das Blut unter ihr hindurchrinne, beschmierte mir dann den Hals und warf mich aufs Bett, damit Du mich so sähest, falls Du in die Zelle schautest.
    Hast du geschaut? Ich lag totenstill da, die Augen geschlossen. Aber mir war, als spürte ich Deinen Schmerz, als Du mich so liegen sahest. Ich habe fast geweint und weiß noch, wie mir angst und bange geworden ist, daß Du die Tränen in meinen Augen sähest. Schließlich hörte ich Deine Schritte, verband mir den Arm und wusch mir Gesicht und Hals. Nach einer Weile erschien Meister Gurloes und brachte mich fort. Verzeih mir.
    Nun möchte ich Dich wiedersehen, und wenn Vater Inire meine Begnadigung erreicht, wie er gelobt hat, gibt es keinen Grund, weshalb wir uns je wieder trennen müßten. Komm jedoch unverzüglich zu mir – ich erwarte seinen Boten, nach dessen Eintreffen ich ins Haus Absolut eilen und mich dem Autarchen – dessen Name dreifach geweihter Balsam auf den versengten Brauen seiner Sklaven ist – vor die Füße werfen muß.
    Erzähle keinem davon, sondern gehe von Saltus aus nordostwärts, bis Du zu einem Bach gelangst, der sich zum Gyoll schlängelt. Folge ihm aufwärts, und Du wirst sehen, daß er dem Eingang einer Mine entströmt.
    Nun muß ich Dir ein großes Geheimnis anvertrauen, das Du keinesfalls

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