Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
feilboten, und erkundigte mich bei den Verkäufern, die ihr gebratenes Fleisch anpriesen.
    All dies klingt – indessen ich es, gemächlich einen Faden zinnoberroter Tinte des Hauses Absolut spinnend, niederschreibe – wohlbedacht, ja methodisch. Nichts könnte von der Wahrheit entfernter sein. Keuchend und schwitzend tat ich all das und plärrte, oft nicht einmal auf eine Antwort wartend, meine Fragen hinaus. Wie ein Antlitz in einem Traum schwebte Agias Gesicht vor meinem geistigen Auge: die breiten, flachen Wangen, das sanft gerundete Kinn, die sommersprossige, sonnengebräunte Haut und die langen, lachenden, höhnischen Augen. Weswegen sie hergekommen war, konnte ich mir nicht erklären; ich wußte nur, daß sie hier war und daß ihr Anblick die quälende Erinnerung an ihren Aufschrei wieder er weckte.
    »Hast du eine Frau von dieser Größe mit braunen Haaren gesehen?« wiederholte ich in einem fort wie der Duellant, der »Cadroe von den Siebzehn Steinen« ausgerufen hatte, bis der Spruch so bedeutungslos wie das Zirpen der Zikaden geworden war.
    »Ja. Jedes Landmädchen, das hierherkommt.«
    »Weißt du, wie sie heißt?«
    »Eine Frau? Sicher kann ich dir eine Frau besorgen.«
    »Wo hast du sie verloren?«
    »Keine Sorge, du findest sie bald wieder. Der Markt ist nicht so groß, daß jemand lange unauffindbar bleiben kann. Habt ihr beiden keinen Treffpunkt ausgemacht? Trink etwas Tee von mir – du siehst so müde aus.« Täppisch suchte ich nach einem Geldstück.
    »Du brauchst nicht zu bezahlen, das Geschäft geht gut. Nun, wenn du unbedingt willst. Kostet nur ein Aes. Hier.«
    Die alte Frau kramte aus ihrer Schürzentasche eine Handvoll Kleingeld hervor und goß dann dampfenden Tee aus ihrer Kanne in eine irdene Tasse, zu der sie mir einen Halm aus einem matten, silbrigen Metall anbot. Ich winkte ab.
    »Ist sauber. Ich spüle alles nach jedem Kunden.«
    »Ich bin das nicht gewohnt.«
    »Dann paß auf –’s ist heiß. Hast du an der Richtstätte nachgesehn? Dort sind viele Leute.«
    »Wo das Vieh ist? Ja.« Es war ein würziger, etwas bitterer Matetee.
    »Weiß sie, daß du sie suchst?«
    »Ich glaub’ nicht. Selbst wenn sie mich gesehen hat, wird sie mich nicht erkannt haben. Ich … ich bin anders angezogen als sonst.«
    Die alte Frau schnaubte verächtlich und schob eine lose graue Haarsträhne unter das Kopftuch zurück. »Zum Markt zu Saltus? Natürlich! Jeder trägt sein bestes Gewand zum Jahrmarkt, was sich jedes vernünftige Mädchen denken kann. Was ist mit dem Ufer, wo der Gefangene in Ketten liegt?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.«
    »Aber du hast noch nicht aufgegeben. Ich seh’s dir an, weil du immer nach den Leuten schielst, die vorbeigehen. Um so besser für dich. Du wirst sie schon finden, obwohl ringsum neuerdings allerlei Merkwürdiges passiert, wie man hört. Man hat einen grünen Mann gefangen, weißt du das? Steckt dort drüben, wo du das Zelt siehst. Grüne Männer wissen alles, sagt man, wenn man sie nur zum Reden bringen kann. Dann die Sache mit der Kathedrale. Davon hast du wohl gehört?«
    »Die Kathedrale?«
    »Nicht so etwas, was die Städter darunter verstehen – ich weiß, du bist aus der Stadt, so wie du deinen Tee trinkst –aber die einzige Kathedrale, die die meisten von uns aus Saltus je zu Gesicht bekommen haben, eine hübsche obendrein mit lauter Hängelampen und Fenstern in den Wänden aus bunter Seide. Ich selbst bin nicht gläubig – oder glaube vielmehr, wenn der Pancreator sich nicht um mich schert, schere ich mich nicht um ihn, warum sollte ich auch? Trotzdem ist’s eine Schande, was sie getan haben, wenn es stimmt, was man ihnen nachsagt. Sie einfach in Brand zu stecken.«
    »Meinst du die Kathedrale der Pelerinen?«
    Die alte Frau nickte gescheit. »Ha, du sagst es selber. Du machst den gleichen Fehler wie sie. Es war nicht die Kathedrale der Pelerinen, es war die Kathedrale der Klaue. Was bedeutet, sie hatten kein Recht, sie niederzubrennen.«
    Ich sagte für mich: »Also haben sie das Feuer wieder angezündet.«
    »Wie bitte?« Die alte Frau spitzte die Ohren. »Das hab’ ich nicht verstanden.«
    »Ich meinte, sie haben sie angezündet. Sie müssen den Strohboden angezündet haben.«
    »Das habe ich auch gehört. Sie haben sich einfach zurückgezogen und zugeschaut, wie sie abgebrannt ist. Sie ist zu den Ewigen Auen der Neuen Sonne aufgefahren.«
    Ein Mann auf der anderen Seite der Gasse begann eine Trommel zu

Weitere Kostenlose Bücher