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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Aberhunderten, die in mein Zelt pilgern, Mitleid kennst?«
    »Ich kenne kein Mitleid, aber ich bin durchdrungen von Achtung vor Recht und Gerechtigkeit und kenne den Alkalden dieses Dorfes. Ein grüner Mensch ist dennoch ein Mensch; und falls er Sklave ist, muß sein Herr darlegen, wie er das geworden und wie er selbst in seinen Besitz gekommen ist.«
    Der grüne Mann erwiderte: »Es ist wohl töricht von mir, dir zu vertrauen. Doch ich tu’s. Ich bin ein freier Mann und komme aus eurer Zukunft, um eure Zeit zu erforschen.«
    »Das ist unmöglich.«
    »Die grüne Farbe, die euch Herrschaften so verdutzt, kommt lediglich von dem, was ihr Algen nennt. Wir haben sie umgeformt, so daß sie in unserm Blut leben können, und durch diesen Eingriff den langen Kampf der Menschheit mit der Sonne endlich friedlich beendet. In uns leben und sterben die winzigen Pflanzen, und unser Körper ernährt sich von ihnen und ihren Toten und bedarf keiner anderen Nahrung mehr. Alle Hungersnöte, alle Mühen des Ackerbaus sind beendet.«
    »Aber ihr braucht Sonne.«
    »Ja«, antwortete der grüne Mann. »Und ich habe hier nicht genug. Die Tage meines Zeitalters sind heller.«
    Dieser einfache Ausspruch fesselte mich wie nichts anderes seit meinem ersten Blick auf die dachlose Kapelle im Bruchhof unserer Zitadelle. »Also kommt die Neue Sonne wie prophezeit«, sagte ich, »und gibt es tatsächlich ein zweites Leben für unsere Urth – falls es stimmt, was du sagst.«
    Der grüne Mann warf den Kopf zurück und lachte. Viel später sollte ich hören, wie der Schrei des Alzabos klingt, wenn er durch die schneeverwehten Hochebenen des Gebirges schweift; sein Lachen ist schrecklich, aber das des grünen Mannes war schrecklicher, und ich wich zurück. »Du bist kein Mensch«, stieß ich hervor. »Jedenfalls nicht jetzt, falls du je einer gewesen bist.«
    Er lachte abermals. »Und ich hoffte auf dich. Was bin ich für ein armes Geschöpf. Ich dachte, ich hätte mich damit abgefunden, hier in diesem Volk zu sterben, das nicht mehr als wandelnder Staub ist; aber mit dem kleinsten Hoffnungsschimmer bröckelte alle Resignation ab. Ich bin ein wahrer Mensch, Freund. Du nicht. In ein paar Monaten werd’ ich tot sein.«
    Ich dachte an seinesgleichen. Wie oft hatte ich die froststarren Stengel der Sommerblumen gesehen, die der Wind gegen die Wände der Mausoleen in unserer Nekropolis drückte. »Ich verstehe dich. Die warmen Sonnentage kommen, aber wenn sie gehen, gehst du mit ihnen. Samen ziehen, solange es geht.« Ernüchtert entgegnete er: »Du glaubst mir nicht und verstehst nicht einmal, daß ich ein Mensch wie du bin, dennoch hast du Mitleid mit mir. Vielleicht hast du recht, und es ist für uns eine neue Sonne gekommen, die wir, weil sie gekommen ist, vergessen haben. Sollte es mir je gelingen, in meine Zeit zurückzukehren, werde ich ihnen davon berichten.«
    »Wenn du tatsächlich aus der Zukunft stammst, warum kannst du nicht einfach vorwärts, heimwärts gehen und so entkommen?«
    »Weil ich angekettet bin, wie du siehst.« Er streckte das Bein vor, um mir die Schelle um seinen Knöchel zu zeigen. Sein fruchtiges Fleisch war rundherum geschwollen wie die Borke eines Baumes, den ein Eisenring beengt.
    Der Türvorhang ging auf, und der Trommler steckte den Kopf herein. »Du bist noch hier? Leute warten draußen.« Nach einem vielsagenden Blick auf den grünen Mann zog er sich zurück.
    »Er meint, ich soll dich abwimmeln, oder er schließt die Öffnung, durch die mein Sonnenlicht fällt. Die bezahlen, um mich zu sehen, wimmle ich ab, indem ich ihnen die Zukunft vorhersage, und so will ich auch die deinige vorhersagen. Du bist noch jung und stark. Aber noch ehe diese Welt sich zehnmal um die Sonne bewegt hat, wirst du schwächer sein, und die Kraft, die du nun hast, nicht wiedererlangen. Wenn du Söhne zeugst, schaffst du dir Feinde gegen dich. Wenn …«
    »Genug!« unterbrach ich. »Was du mir sagst, ist lediglich jedermanns Zukunft. Beantworte mir eine Frage wahrheitsgemäß, und ich werde gehen. Ich suche eine Frau namens Agia. Wo werde ich sie finden?«
    Er rollte die Augen nach oben, bis unter den Lidern nur mehr schmale, hellgrüne Sicheln sichtbar waren. Ein leichtes Beben überkam ihn; er stand auf und breitete die Arme aus, wobei seine Finger zitterten wie Zweige. Langsam antwortete er: »Über der Erde.«
    Das Zucken ließ nach, und er nahm wieder Platz, älter und noch bleicher wirkend.
    »Du bist nur ein Schwindler«, erwiderte

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