Die Kleinbürger (German Edition)
die Gräfin und lächelte wieder.
»Darf ich einen Verdacht äußern, gnädige Frau?« sagte la Peyrade bewegt.
»Bitte«, erwiderte Frau von Godollo; »ich werde Ihnen nicht böse sein, wenn Sie sie erraten.«
»Nun, gnädige Frau, Thuilliers und meine Feinde ›sind‹ eine Frau.«
»Nehmen Sie an, es sei so«, sagte die Gräfin. »Wissen Sie, wieviel Zeilen von der Hand eines Mannes Richelieu verlangte, um ihn an den Galgen zu bringen?«
»Vier«, antwortete la Peyrade.
»Dann werden Sie sich also sagen können, daß eine Broschüre von mehr als zweihundert Seiten einer Frau, die ein wenig ... intrigant ist, genügend Stoff zu einer Verfolgung bieten konnte.«
»Nun ist mir alles klar, gnädige Frau!« rief la Peyrade lebhaft; »und ich glaube, daß diese Frau ein Ausnahmegeschöpf ist, daß sie ebenso boshaft wie geistvoll ist; denn die anbetungswürdige Zauberin setzt nicht bloß die Polizei und die Gendarmen in Bewegung, sondern noch mehr, sie hält auch das Kreuz in der Hand des Ministers, das schon aus ihr herausfallen will, fest.«
»Also«, sagte die Gräfin, »was nützt es, mit ihr zu kämpfen?«
»Ach, ich kämpfe ja nicht mehr«, sagte la Peyrade, der an der aufgewandten Mühe den Umfang des Wohlwollens bemaß, das ihm bezeigt wurde.
Dann fügte er mit geheuchelter Zerknirschung hinzu:
»Mein Gott, gnädige Frau, empfinden Sie denn solch einen Haß gegen mich?«
»Nicht ganz so viel, wie Sie glauben könnten,« antwortete die Gräfin, »aber wenn ich Sie nun wirklich haßte?«
»Oh, gnädige Frau,« sagte la Peyrade begeistert, »dann würde ich der glücklichste aller Unglücklichen sein, denn dieser Haß wäre mir tausendmal köstlicher und süßer, als Ihre Gleichgültigkeit. Aber Sie hassen mich ja nicht; weshalb empfanden Sie sonst für mich das beglückende weibliche Gefühl, das Scribe in einer seiner Perlen von Theaterstücken mit soviel Zartheit und Geist geschildert hat?«
Frau von Godollo antwortete nicht und schlug die Augen nieder; dann, während ein schnelleres Atmen ihre Stimme etwas alterierte, erwiderte sie:
»Nimmt sich ein Stoiker wie Sie überhaupt die Zeit, sich um den Haß einer Frau zu bekümmern?«
»O ja, gnädige Frau,« entgegnete la Peyrade, »ich würde mich sehr darum bekümmern, aber nicht um mich dagegen aufzulehnen; im Gegenteil, ich würde die Schwere, mit der er mich niederdrückt, segnen. Ich würde nicht daran verzweifeln, das Herz meiner schönen Feindin, sobald sie sich zu erkennen gegeben hat, zu erweichen, denn niemals mehr würde ich einen andern Weg wandeln als den ihrigen, niemals unter einem andern Banner kämpfen als dem, zu dem sie sich bekannt hat; bei meinem Denken würde ich auf ihre Inspiration warten, bei meinem Wollen auf ihren Willen; ich würde nicht das geringste unternehmen, ohne ihre Befehle einzuholen; in allem würde ich ihr Bundesgenosse oder, besser, ihr Sklave sein; und sollte sie mich mit ihrem kleinen Fuße wegstoßen oder mit ihrer weißen Hand züchtigen, so würde ich das mit Wonne ertragen. Und ich würde für solche Ergebenheit und Gehorsam nur die Gnade erbitten, die Spur des Fußes, der mich zurückgestoßen hat, küssen, und die Gunst erflehen, die Hand, die sich drohend gegen mich erhoben hat, mit meinen Tränen benetzen zu dürfen.«
Während dieses langen Herzensergusses, zu der die Freude über den gemutmaßten Triumph den von Natur leicht erregbaren Provenzalen hingerissen hatte, war er von seinem Sitze herabgeglitten und kniete dicht vor der Gräfin nieder in der herkömmlichen Theaterpose, die im wirklichen Leben viel öfter eingenommen wird, als man glaubt.
»Stehen Sie auf, mein Herr,« sagte die Gräfin, »und antworten Sie mir.«
Und während sie ihm einen fragenden Blick zuwarf und ihre schönen Augenbrauen runzelte, sagte sie:
»Sind Sie sich auch der Tragweite der Worte bewußt, die Ihrem Munde eben entfahren sind? Haben Sie den ganzen Umfang der Verpflichtung erwogen, die Sie eingehen wollen? Beantworten Sie meine Frage, Hand aufs Herz und auf Ihr Gewissen: sind Sie auch der Mann, alles zu halten, was Sie versprochen haben, und nicht etwa einer von den Niedrigen und Falschen, die unsere Knie nur umschlingen, um unsre Vernunft und unsern Willen ins Wanken zu bringen?«
»Wie?« rief la Peyrade aus, »ich, ich sollte mich jemals dem Zauber entziehen können, der mich seit unserem ersten Beisammensein gefangengenommen hat? Oh, gnädige Frau, je mehr ich Widerstand geleistet, je mehr ich mich dagegen
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