Die Kleinbürger (German Edition)
sich aus ihrer gewöhnlichen Apathie aufgerafft und zeigte sich neben einem zweiten Sabinus als wahre Eponina.
Was Brigitte anlangt, die eigenhändig schnell ein Fußbad herbeitrug, so benahm sie sich gegen den Advokaten ohne Gnade und Barmherzigkeit; ihre scharfen, bitteren und in keinem Verhältnis zu seinem Vergehen, wenn ihm ein solches überhaupt zur Last fiel, stehenden Vorwürfe hätten auch den friedlichsten Menschen außer sich bringen können. La Peyrade sah seine Stellung in der Familie Thuillier verloren, wo man mit Freuden die Gelegenheit zu ergreifen schien, ihm das gegebene Wort zu brechen und dem empörendsten Undank freien Lauf zu lassen. Nach einer ironischen Anspielung auf die Art, wie er es verstünde, seinen Freunden eine Auszeichnung zu verschaffen, stand er auf und verabschiedete sich, ohne daß er im geringsten zum Bleiben veranlaßt worden wäre.
Nachdem er die Straße ein Stück entlang gegangen war, mußte der Provenzale, mitten in seiner Entrüstung, an Frau von Godollo denken, und, ehrlich gestanden, waren ja seine Gedanken seit der ersten Zusammenkunft oft zu der schönen Fremden zurückgekehrt.
Nicht nur einmal war diese, wenn er sie bei Thuilliers traf, plötzlich aufgebrochen; dieses Verhalten hatte sich bei allen ihren Begegnungen wiederholt, und ohne daß er den Grund recht verstehen konnte, hatte sich la Peyrade gesagt, daß diese auffällige Art, vor ihm zu fliehen, jedenfalls etwas anderes als Gleichgültigkeit bedeutete. Gleich nach dem ersten Besuch wieder bei der schönen Fremden zu erscheinen, wäre unschicklich gewesen; aber jetzt war die für einen Mann, der vollkommen Herr über sich ist, erforderliche Zwischenzeit abgelaufen. Er kehrte deshalb um, und ohne den Portier zu fragen, ob die Gräfin zu Hause sei, tat er, als ob er wieder zu Thuillier hinaufgehen wolle, klingelte aber an der Tür des Zwischenstocks.
Wie beim erstenmal bat ihn die Kammerfrau, zu warten, bis sie ihre Herrin benachrichtigt hätte; aber das Zimmer, in das man ihn führte, war nicht das Speisezimmer, sondern ein anderer kleiner Salon, in dem eine Bibliothek untergebracht war.
Er mußte lange warten und wußte nicht, was er davon denken solle. Dennoch beruhigte er sich damit, daß er sich sagte, wenn man ihm hätte die Tür weisen wollen, würde das nicht einer so langen Überlegung bedurft haben.
Schließlich erschien die Kammerfrau wieder, aber noch nicht, um ihn hineinzuführen.
»Die Frau Gräfin ist beschäftigt«, sagte sie, »und sie läßt den Herrn bitten, gefälligst zu warten und sich mit den Büchern der Bibliothek zu unterhalten, da sie länger, als sie wünsche, festgehalten werden könnte.«
Die Entschuldigung hatte weder sachlich noch in der Form etwas Entmutigendes, und der Advokat schickte sich an, das Rezept, das man ihm gegen die Langeweile empfohlen hatte, zu gebrauchen. Ohne daß er den Bücherschrank aus geschnitztem Polysanderholz, der eine Sammlung so reich gebundener Bücher enthielt, wie er sie noch niemals vor Augen gehabt hatte, zu öffnen brauchte, fand er auf einem langen Tische mit gedrehten Füßen und einer grünen Tischdecke ein Durcheinander von Büchern, die vollständig für den »Konsum« eines Mannes genügen mußten, dessen Aufmerksamkeit anderweitig beschäftigt war.
Aber je mehr er von den Büchern, die ihm zur Verfügung standen, öffnete, um so mehr schien es ihm, daß man sich das Vergnügen gemacht hätte, ihn Tantalusqualen erleiden zulassen; bald war es ein englisches, bald ein deutsches, bald ein russisches Werk, es befand sich sogar eins darunter, das in türkischen Lettern gedruckt war. War das eine polyglotte Mystifikation, die man ihm zum Scherz bereitet hatte?
Ein Buch zog schließlich seine Aufmerksamkeit auf sich. Sein Einband war im Gegensatz zu den andern, die ihm versiegelte Bücher blieben, viel weniger reich als handlich. Einzeln auf einer Ecke des Tisches von den andern abgesondert war es geöffnet und mit dem Rücken nach oben, mit den Blättern auf der grünen Decke wie ein Zelt hingestellt. La Peyrade nahm es auf und merkte sich dabei die Seite, die man offenbar dadurch hatte bezeichnen wollen.
Es war ein Band der illustrierten Ausgabe von
Scribes Werken; die Zeichnung, die der Provenzale vor sich sah, stellte die Hauptszene eines Vaudevilles dar, das »der Haß einer Frau« betitelt war.
Es gibt wohl wenige Leserinnen, die den Vorwurf dieses Stückes nicht kennen, zu dem der durch so viele kleine Meisterwerke berühmt
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