Die Kleinbürger (German Edition)
du deine interessante Lage als Angeklagter ausnutzen. Ich dachte mir wohl, daß es so verlaufen würde und daß, nachdem die Broschüre einmal fertig geworden war, neue Anträge auf Abweisung gestellt werden würden.«
»Ja wahrhaftig, deine Broschüre!« antwortete Thuillier, »ich finde es komisch, wenn du jetzt behaupten willst, daß durch sie alle Schwierigkeiten behoben sein sollen, wo sie im Gegenteil doch gerade den Anlaß zu den bedauernswerten Komplikationen gegeben hat.«
»Wieso denn bedauernswert? Ich denke, sie hat deine politische Zukunft gesichert?!«
»Wirklich, mein Lieber,« sagte Thuillier gefühlvoll, »ich hätte niemals von dir geglaubt, daß du die Stunde der Not wählen würdest, um uns die Pistole auf die Brust zu setzen und mich zum Gegenstande deiner Nörgeleien und Bosheiten zu machen!«
»Aha,« sagte la Peyrade, »jetzt ist es die Stunde der Not, und erst vor einem Augenblick hast du mich umarmt wie ein Mann, dem irgendein besonderes Glück zuteil geworden ist. Du mußt dich aber doch nun entscheiden, ob du die Rolle des tief zu Beklagenden oder des glorreich Triumphierenden spielen willst.«
»Du kannst noch so geistreich reden,« antwortete Thuillier, »du wirst mich doch nicht in Widersprüche verwickeln können; ich, ich bin logisch, wenn ich auch nicht zu glänzen verstehe. Es ist doch ganz natürlich, wenn ich es als Trost empfinde, daß die öffentliche Meinung sich zu meinen Gunsten erklärt, und wenn ich in ihren Organen die ehrenvollsten Bezeugungen ihres warmen Mitgefühls finde; aber alles in allem – glaubst du nicht, daß es mir lieber gewesen wäre, wenn die Dinge ihren normalen Verlauf genommen hätten? Und wenn ich sehe, daß ich der Gegenstand einer niedrigen Rache von Seiten so einflußreicher Leute wie Vinet bin, kann ich wissen, welchen Gefahren ich noch ausgesetzt bin?«
»Also,« sagte la Peyrade mit unerbittlicher Hartnäckigkeit, »du hast dich nun für die Rolle von ›Hansi weint‹ entschieden?«
»Ja,« erwiderte Thuillier feierlich, »Hansi, der eine Freundschaft beweint, die ich für echt und hingebend gehalten habe, und die mir nur Spott darbietet, wo ich auf ihre Dienste gerechnet hatte.«
»Welche Dienste denn?« fragte la Peyrade. »Hast du mir nicht gestern erklärt, daß du in jeder Hinsicht von meiner Mitarbeiterschaft genug hättest? Ich habe dir angeboten, deine Verteidigung zu übernehmen; du hast mir geantwortet, du wollest dir einen bedeutenden Advokaten nehmen.«
»Gewiß; im ersten Augenblick der Überraschung über diesen unerwarteten Schlag habe ich wohl eine solche Dummheit aussprechen können; aber ich habe es mir überlegt: wer könnte denn besser als du die Grundsätze der Schrift auseinandersetzen, die deine Feder zu Papier gebracht hat? Ich war gestern außer mir, du aber mit deiner verletzten Eigenliebe, der du nichts, was in der ersten Aufregung gesagt wurde, vergeben willst, du bist ein sehr höhnischer und sehr harter Mensch.«
»Also,« sagte la Peyrade, »du ersuchst mich formell, deine Verteidigung vor Gericht zu übernehmen?«
»Aber gewiß doch, mein Lieber! Ich wüßte niemand anderen, in dessen Hände ich meine Sache legen könnte. Irgendeinem großen Herrn von der Anwaltschaft würde ich ein wahnsinniges Geld bezahlen müssen, und er würde mich doch nicht so geschickt wie du verteidigen können.«
»Nun, und ich, ich lehne es ab; die Rollen sind, wie du siehst, vollkommen vertauscht; gestern dachte ich so wie du, daß ich der richtige Mann für diesen Prozeß wäre; heute glaube ich, daß du dir in der Tat eine Berühmtheit der Advokatenschaft nehmen mußt, weil bei dem Antagonismus Vinets die Sache eine Wendung genommen hat, die dem, der sich damit befassen soll, eine wahrhaft erschreckende Verantwortung auferlegt.«
»Ich verstehe,« sagte Thuillier ironisch, »der Herr hat ja schon immer Absichten auf die Staatsanwaltskarriere gehabt und will sich nicht mit einem Manne verfeinden, von dem man schon als dem zukünftigen Großsiegelbewahrer gesprochen hat. Das ist vorsichtig, aber ich weiß nicht, wie du damit deine Heiratsangelegenheit fördern willst.«
»Das soll heißen,« antwortete la Peyrade, der die günstige Gelegenheit beim Schöpfe packte, »daß deine Befreiung aus den Krallen der Justiz die dreizehnte Herkulesarbeit ist, die mir auferlegt wird, um Fräulein Collevilles Hand zu verdienen. Ich dachte mir wohl, daß sich die Forderungen im Verhältnis zu den Beweisen meiner Hingebung vervielfachen
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