Die Kleinbürger (German Edition)
danke Ihnen! Ich muß aber jetzt auch die meinige treffen, denn Sie werden von mir nicht annehmen, daß ich ewig in einem Kreise zu verweilen gedenke, der mit dem unsrigen so wenig zu tun hat und in dem mich nichts mehr festhält. Um mich in schonender Weise zurückzuziehen und keine Auskunft über das Asyl zu geben, das der Zwischenstock dem aus der ersten Etage freiwillig Verbannten gewähren soll, brauche ich diesen und den nächsten Tag für mich. Besuchen Sie mich also nicht vor übermorgen. Dann werde ich Brigitte, wie man an der Börse sagt, exekutiert und Ihnen viel zu erzählen haben.
Tua tota
Gräfin von Godollo.«
Das »Ganz die Ihrige« auf lateinisch entzückte la Peyrade, der sich übrigens darüber nicht wunderte, da ja in Ungarn das Lateinische eine zweite Landessprache ist. Die beiden Tage des Wartens, zu denen er verdammt war, fachten das Feuer der Leidenschaft, die ihn verzehrte, noch mehr an, und als er am übernächsten Tage vor dem Hause an der Madeleine anlangte, war sein Liebesverlangen so glühend geworden, wie er das noch vor wenigen Tagen bei sich nicht für möglich gehalten hätte.
Dieses Mal wurde la Peyrade von der Portiersfrau bemerkt; aber, abgesehen davon, daß sie annehmen konnte, er wolle zu Thuilliers, wäre es ihm auch sehr gleichgültig gewesen, wenn man jetzt gewußt hätte, wen er besuche. Das Eis war endgültig gebrochen, sein Glück nicht mehr geheim, und er war eher geneigt, es jedem ins Gesicht zu rufen, als noch ein Geheimnis daraus zu machen. Nachdem er die Stufen hinaufgeeilt war, schickte sich der Advokat an, zu läuten, als er beim Greifen nach dem seidenen Klingelzug neben der Tür bemerkte, daß dieser verschwunden war.
La Peyrades erster Gedanke war, daß nur eine schwere Krankheit, bei der dem Leidenden jedes Geräusch unerträglich ist, die Wegnahme des fehlenden Gegenstandes erklären könne; aber andere Wahrnehmungen widersprachen dieser Erklärung, die übrigens auch keine sehr tröstliche war.
Vom Vestibül bis zur Tür der Gräfin gewährte ein Treppenläufer, der an jeder Stufe mit einer Messingstange befestigt war, den Besuchern ein angenehmes Hinaufgehen; dieser Läufer war fortgenommen.
Über der Tür befand sich ein Windfang, der mit grünem Sammet an vergoldeten Ringen verhängt war; auch von diesem Vorhang war nichts zu sehen, außer einigen Beschädigungen, die die Arbeiter an den Wänden beim Abnehmen gemacht hatten.
Einen Augenblick lang glaubte der Advokat in seiner Erregung, er habe sich in der Etage geirrt; aber ein Blick über das Geländer bewies ihm, daß er nicht über den Zwischenstock hinausgekommen war. War Frau von Godollo im Begriff auszuziehen?
Der Provenzale mußte sich also darauf beschränken, sich bei der vornehmen Dame wie bei einer Grisette anzukündigen; aber sein Klopfen erzeugte den hohlen Widerhall, der die Leere zu verraten pflegt: intonuere cavernae; gleichzeitig bemerkte er unterhalb der Tür, an die er vergeblich mit der Faust schlug, jene größere Helligkeit, die anzeigt, daß ein Raum unbewohnt ist und daß sich in ihm keine Vorhänge, Teppiche und Möbel befinden, die das Geräusch und das Licht dämpfen.
Da er also annehmen mußte, daß der Umzug schon stattgefunden hatte, so dachte sich la Peyrade, daß nach dem Bruch mit Brigitte irgendeine Grobheit der alten Jungfer diese radikale Gewaltmaßregel nötig gemacht hatte: aber weshalb war er nicht davon benachrichtigt worden, und was hatte man sich dabei gedacht, als man ihn einer solchen getäuschten Hoffnung aussetzte, wie das Volk es so eigenartig mit dem Ausdruck bezeichnet: »wie der Ochse vor dem Scheunentor stehen?«
Bevor er sich entfernte, entschloß sich la Peyrade, als ob noch ein Zweifel möglich wäre, einen letzten Versuch mit Klopfen an der Tür zu machen. »Wer klopft denn hier so, als ob das Haus einstürzen soll?« schrie jetzt die Portiersfrau, die der Lärm bis an den Fuß der Treppe herbeigerufen hatte.
»Wohnt denn Frau von Godollo nicht mehr hier?« fragte la Peyrade.
»Natürlich wohnt sie nicht mehr hier, wenn sie ausgezogen ist. Wenn der Herr mir gesagt hätte, daß er zu ihr will, hätte ich ihm die Mühe erspart, die Tür einzuschlagen.«
»Ich wußte wohl, daß sie ausziehen wollte«, sagte la Peyrade, der nicht zeigen mochte, daß ihm ihre Absicht, die Wohnung zu verlassen, unbekannt war; »aber ich dachte nicht, daß es so bald geschehen würde.«
»Es muß wohl sehr eilig gewesen sein,« sagte die Portiersfrau, »denn
Weitere Kostenlose Bücher