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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Nachgrübeln darüber ausschließlich beherrschte, so hätte ihn auch eine Erzählung von ganz anderer Wichtigkeit nicht interessiert. Der große Mitbürger aber fuhr wie eine losgelassene Lokomotive fort:
    »Es war um die Zeit der letzten Niederkunft meiner Frau. Sie befand sich damals in der Perche bei ihrer Mutter, als ich die Nachricht erhielt, daß ihr Milchfieber von sehr ernsten Erscheinungen begleitet war. An einem Geldopfer stirbt man nicht, wie man sagt; und da die Gefahr, in der meine Gattin schwebte, mich in Schrecken setzte, so begab ich mich sofort in das Postbureau, um einen Platz auf der Schnellpost zu nehmen. Aber es war keiner mehr frei, auf länger als eine Woche waren alle vorausbestellt. Sogleich entschloß ich mich, nach der Rue Pigalle zu gehen, und dort erreichte ich für teures Geld, daß mir eine Postchaise und zwei Pferde gestellt wurden, allerdings unter der Voraussetzung, daß ich einen Paß bekäme, den ich mir zu beschaffen verabsäumt hatte und ohne den auf Grund des Erlasses der Konsuln vom 17. Nivose des Jahres XII den Reisenden keine Pferde gegeben werden dürfen ...«
    Diese letzten Worte waren für la Peyrade ein Lichtstrahl, und ohne das Ende der postalischen Odyssee des großen Mitbürgers abzuwarten, war er in der Richtung der Rue Pigalle fortgestürzt, bevor Phellion, dessen Satz noch in der Luft schwebte, Zeit hatte, sein Verschwinden zu bemerken.
    Als er im Gebäude der königlichen Post angelangt war, wußte la Peyrade nicht recht, an wen er sich wegen der gewünschten Auskunft zu wenden hätte. Er setzte daher dem Hauswart auseinander, daß er einer befreundeten Dame einen Brief, der ihm für sie in einer sehr dringenden Angelegenheit übergeben war, zustellen müsse; daß die Dame so unbesonnen gewesen sei, ihm ihre Adresse nicht zu hinterlassen, und daß er gedacht habe, sie vielleicht aus dem Paß zu erfahren, den sie wegen der Pferde hätte vorweisen müssen. Da fragte ein Postillon, der in einer Ecke des Raumes, in dem la Peyrade seine Nachforschungen anstellte, saß:
    »Ist das eine Dame, die mit ihrer Kammerfrau reist und die ich nahe bei der Madeleinekirche ›aufladen‹ mußte?«
    »Gewiß«, rief la Peyrade, ging schnell auf den Mann, den ihm die Vorsehung gesandt hatte, zu und steckte ihm ein Hundertsousstück in die Hand.
    »Ach so, ja, das war eine komische Reisende,« sagte der Postillon, »die hat sich von mir erst ins Bois de Boulogne fahren und eine Stunde dort herumkutschieren lassen; dann sind wir plötzlich bis zur Barriere de l'Etoile gefahren, da hat sie mir ein anständiges Trinkgeld gegeben, hat sich eine Droschke genommen und mir gesagt, ich soll die Postkutsche zu einem Wagenverleiher in der Cour des Coches im Faubourg Saint-Honoré bringen.«
    »Und wie heißt der Mann?« fragte la Peyrade eilig. »Das ist ein gewisser Simonin«, antwortete der Postillon.
    Nach dieser Auskunft eilte la Peyrade wieder fort und war eine Viertelstunde später bei dem Wagenverleiher; dieser wußte nur, daß eine Dame, die am Madeleineplatz wohnte, eine Postkutsche ohne Pferde auf einen halben Tag gemietet hatte, daß die Postkutsche ihr um neun Uhr morgens zugeschickt und noch vor zwölf Uhr von einem Postillon der Königlichen Post wieder in die Remise zurückgebracht worden war.
    ›Das macht nichts,‹ sagte sich la Peyrade, ›ich bin ja jetzt sicher, daß sie Paris nicht verlassen hat und vor mir geflohen ist. Wahrscheinlich hat sie, um mit den Thuilliers zu Ende zu kommen, eine Reise vorgeschützt; aber wie töricht bin ich, zu Hause werde ich sicher einen Brief vorfinden, der mich über alles aufklärt.‹
    Von der Aufregung und der Ermüdung erschöpft, und um sich schneller von der Richtigkeit seiner Vermutung zu überzeugen, warf sich la Peyrade in einen Mietwagen und nach kaum einer Viertelstunde wurde er, da er ein reichliches Trinkgeld versprochen hatte, in der Rue Saint-Dominique-d'Enfer abgesetzt.
    Hier mußte er noch die Qual des Wartens über sich ergehen lassen. Seitdem Brigitte nicht mehr in dem Hause wohnte, tat der Herr Coffinet, der Portier, seinen Dienst nur sehr nachlässig, und als la Peyrade in seine Loge stürzen wollte, um sich »seinen« Brief zu holen, den er in der Tat in dem gewöhnlich dafür benutzten Kasten zu bemerken glaubte, war das Ehepaar Coffinet abwesend und die Tür sorgfältig verschlossen. Die Portiersfrau war im Hause als Aufräumefrau beschäftigt, und der Herr Coffinet hatte diesen Umstand benutzt, um sich in eine

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