Die Kleinbürger (German Edition)
verschiedenen Masken verlangten, nichts so sehr an, wie die Rolle, die er vor seinen beiden Komplizen zu spielen hatte. Ein unbewegliches Gesicht à la Talleyrand hätte ihren Bruch mit dem Provenzalen zur Folge gehabt, der sich in ihren Klauen befand, und er mußte ein argloses, vertrauliches Wesen und ein offenes Spiel vortäuschen, was sicher den Höhepunkt der Schauspielerkunst darstellte. Das Parterre in die Illusion versetzen, diesen Triumph kann man alle Tage haben, aber Fräulein Mars, Frédérick Lemaitre, Potier, Talma, Monrose täuschen, das ist der Gipfel der Kunst.
Diese Konferenz verursachte la Peyrade, der ebenso scharfsinnig wie Cérizet war, eine heimliche Angst, die ihm während der letzten Periode dieses Riesenkampfes das Blut erhitzte und ihm zeitweilig das Herz derart in Flammen setzte, daß er sich in dem krankhaften Zustande eines Spielers befand, der mit dem Auge das Kreisen der Roulette verfolgt, nachdem er seinen letzten Einsatz gewagt hat. Die Sinne besitzen dann eine Hellsichtigkeit beim Handeln, und die Scharfsinnigkeit erreicht eine Höhe, für die die menschliche Wissenschaft noch kein Maß gefunden hat.
Am Tage nach der Besprechung erschien la Peyrade zum Essen bei Thuilliers; und unter dem üblichen Vorwande, daß sie Frau von Saint-Foudrille, der Gattin des berühmten Gelehrten, mit der er sich befreunden wollte, einen Besuch abstatten müßten, nahm Thuillier seine Frau mit sich fort und ließ Theodosius mit Brigitte allein. Weder Thuillier, noch seine Schwester, noch Theodosius wurden durch diese Komödie getäuscht, die der alte Beau der Kaiserzeit ein diplomatisches Manöver nannte.
»Junger Mann, mißbrauche die Unschuld meiner Schwester nicht, respektiere sie«‹, sagte Thuillier feierlich, bevor er sich entfernte.
»Haben Sie schon daran gedacht, mein Fräulein,« sagte Theodosius und zog seinen Sessel an das Sofa heran, auf dem Brigitte strickte, »die Kaufmannschaft des Bezirks für Thuillier nutzbar zu machen?«
»Wie denn?« sagte sie.
»Sie stehen doch in Geschäftsverbindung mit Barbet und Métivier.«
»Ach richtig! ... Sie sind wahrhaftig ein Schlauberger!« sagte sie nach einer Pause.
»Wen man gern hat, dem macht man sich nützlich!« erwiderte er in wohlgesetzten Worten nach einer Weile.
Brigitte herumbekommen, das bedeutete in diesem langen seit zwei Jahren geführten Kampfe dasselbe, wie die große Schanze an der Moskowa erstürmen, den Höhepunkt. Aber man mußte von diesem Mädchen Besitz ergreifen, wie der Teufel, wie man im Mittelalter glaubte, Leute besessen hat, und zwar so, daß jedes Auflehnen dagegen unmöglich würde. Seit drei Tagen schlug sich la Peyrade mit dieser Aufgabe herum, und er hatte sie in ihrem ganzen Umfange durchdacht, um sich über ihre Schwierigkeiten klar zu werden. Schmeicheleien, dieses in geschickten Händen unfehlbare Mittel, verfingen bei einem weiblichen Wesen nicht, das seit langem wußte, daß ihm jede Schönheit mangelte. Aber für den willensstarken Mann gibt es nichts Unbezwingliches, und die Lamarques verstehen immer, Capri zu erobern. Es darf daher nichts von der denkwürdigen Szene, die sich an diesem Abend abspielte, weggelassen werden; alles hat dabei seine Bedeutung, die Ruhepausen, die zu Boden gesenkten Augen, die Blicke, die Betonung der Worte.
»Aber Sie haben uns ja schon bewiesen,« entgegnete Brigitte, »daß Sie uns sehr gern haben ...«
»Hat Ihr Bruder schon mit Ihnen gesprochen? ..«
»Nein, er hat nur gesagt, daß Sie mit mir zu reden hätten ...«
»Jawohl, mein Fräulein, Sie sind ja der Mann in der Familie; aber nach reiflicher Überlegung habe ich die Sache doch zu gefährlich für mich gefunden, man stellt sich bei so etwas nur für seine Nächsten heraus ... Es handelt sich um ein Vermögen, um dreißig- bis vierzigtausend Franken Rente, ohne die geringste Spekulation ... um ein Grundstück! ... Der dringende Wunsch, Thuillier ein Vermögen zu verschaffen, hat mich zuerst verlockt ... So etwas blendet einen, wie ich ihm sagte; ... denn, wenn man kein Dummkopf ist, muß man sich fragen: ›Was bezweckt er mit soviel Freundschaftlichkeit?‹ Ich habe ihm deshalb gesagt, daß wenn ich für ihn arbeite, ich mir schmeichle, damit auch für mich selbst zu arbeiten. Will er Deputierter werden, so ist zweierlei absolut nötig: er muß den Zensus bezahlen und sich durch seinen Namen und durch eins gewisse Berühmtheit empfehlen können. Wenn ich meine Ergebenheit so weit treibe, daß ich ihm
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