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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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besteht, daß man kein Denunziant ist, ehrlich teilt und die gleiche Gefahr mit den andern auf sich nimmt. Nun, diese letzte Sorte von Ehrenhaftigkeit, die vielleicht nur das Ergebnis der Berechnung und der Notwendigkeit ist, die aber dem danach Handelnden noch eine gewisse Möglichkeit bietet, sich großherzig zu zeigen und sich zu bessern, sie herrschte absolut zwischen Cérizet und seiner Kundschaft. Cérizet irrte sich niemals, und seine Armen ebensowenig; es gab auf beiden Seiten in bezug auf Kapital und Zinsen niemals Streit. Mehrfach hatte Cérizet, der übrigens ein Kind des Volkes war, von einer Woche zur andern einen unabsichtlichen Irrtum zugunsten einer armen Familie berichtigt, die ihn gar nicht gemerkt hatte. Daher galt er zwar als ein Hund, aber als ein anständiger Hund, und sein Wort inmitten dieser Schmerzensstadt als heilig. Als eine Frau gestorben war, die ihm dreißig Franken schuldete, sagte er zu den Versammelten:
    »Das ist mein Gewinn, und da flucht ihr noch auf mich! Und trotzdem werde ich ihre Kleinen nicht darum schikanieren! ... Und Cadenet hat ihnen noch zu essen und Wein gebracht.«
    Seit diesem hübschen Zuge, der übrigens auf kluger Berechnung beruhte, sagte man von ihm in beiden Faubourgs:
    »Er ist doch kein schlechter Mensch! ...«
    Das Geldleihen auf eine Woche, wie es Cérizet betrieb, ist verhältnismäßig keine so schlimme Plage, wie das Verpfänden auf dem Pfandleihhause. Cérizet gab am Dienstag zehn Franken unter der Bedingung her, daß er am Sonntagmorgen zwölf zurückerhielt. In fünf Wochen verdoppelte er auf diese Weise sein Kapital, aber es gab auch viele Abweichungen. Seine Gefälligkeit bestand darin, ab und zu nur elf Franken fünfzig Centimes zurückzufordern; die Zinsen blieb man schuldig. Und wenn er einem kleinen Fruchthändler fünfzig Franken gegen die Rückzahlung von sechzig, oder einem Lohgerber hundert gegen die von hundertzwanzig lieh, so war das ein Risiko.
    Als sie aus der Rue des Postes in die Rue des Poules einbogen, bemerkte Theodosius und Dutocq eine Ansammlung von Männern und Weibern, und sie erschraken, als sie beim Scheine der Lampen des Weinhändlers diese Masse von roten, rissigen, faltigen, von Leiden verdüsterten Gesichtern mit zerzausten oder kahlen Köpfen und aufgeschwollen vom Wein oder ausgemergelt vom Schnaps erblickten; die einen hatten einen drohenden, die andern einen resignierten, diese einen spöttischen, jene einen geistvollen, noch andere einen stumpfsinnigen Ausdruck; alle waren in so scheußliche Lumpen gehüllt, wie auch die ausschweifendste Phantasie eines Zeichners sie nicht schlimmer ersinnen konnte.
    »Man wird mich hier erkennen!« sagte Theodosius und zog Dutocq mit sich fort; »wir haben eine Dummheit begangen, daß wir ihn hier während seiner Geschäftszeit aufgesucht haben ...«
    »Um so mehr, als wir nicht daran gedacht haben, daß Claparon hier in einem Hundeloch, das wir innen gar nicht kennen, haust. Aber das kommt nur für Sie in Betracht, nicht für mich; ich kann ja mit meinem Sekretär zu reden haben, und ich werde ihm mitteilen, daß wir abends zusammen essen wollen, denn zum Frühstück können wir nicht zusammenkommen, weil heute Sitzung ist. Wir könnten uns in der ›Chaumière‹ treffen, in einer der Lauben im Garten ...«
    »Das paßt schlecht; da kann man behorcht werden, ohne daß man es merkt«, sagte der Advokat; »da würde ich den ›Petit Rocher de Cancale‹ vorziehen; da nehmen wir ein Zimmer und sprechen leise.«
    »Und wenn man Sie dort mit Cérizet zusammen sieht?«
    »Nun, dann wollen wir ins ›Cheval rouge‹ gehen, am Quai de la Tournelle.
    »Das wird besser sein; also um sieben Uhr, da treffen wir niemanden mehr.«
    Dutocq begab sich nun mitten unter diesen Bettlerkongreß und hörte, wie sein Name aus der Menge genannt wurde, denn es war für ihn kaum zu vermeiden, daß er Leuten, die mit dem Gericht zu tun hatten, begegnete, ebenso wie Theodosius hier einige seiner Klienten getroffen hätte.
    In diesen Quartieren ist das Friedensgericht der höchste Gerichtshof, und alle Klagen werden hier endgültig entschieden, besonders seitdem das Gesetz ihm die letzte Entscheidung in allen Streitsachen, wo der Wert des Streitgegenstandes hundertvierzig Franken nicht übersteigt, zugewiesen hat. Man machte dem Gerichtsvollzieher Platz, der ebenso gefürchtet war wie der Friedensrichter. Auf der Treppe sah er Frauen sitzen: eine fürchterliche Ausstellung, ähnlich wie Blumen auf einer

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