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Die kleine Hexe

Die kleine Hexe

Titel: Die kleine Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otfried Preußler
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herumzuärgern. Und drittens bleibt es einem erspart, dass man Jahr um Jahr für ein halbes Dutzend hungriger Rabenkinder sorgen muss, Zuerst fressen sie einen arm und dann fliegen sie sowieso ihrer Wege. Ich weiß das von meinen Geschwistern, die alle seit Langem verheiratet sind, und ich möchte mit keinem von ihnen tauschen."
    Der Lieblingsbruder des Raben Abraxas hieß Kräx. Er hatte sein Nest auf der alten Ulme am Ufer des Entenweihers im Nachbardorf, Ihn besuchte Abraxas einmal in jedem Jahr und zwar in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten. Dann hatte seine Schwägerin

    die neuen Eier zwar schon gelegt, aber sie hatte sie noch nicht ausgebrütet. Da brauchte Abraxas nicht zu befürchten, dass er dem Bruder und seiner Schwägerin helfen musste, ihre gefräßigen Rabenküken zu füttern.
    Als er diesmal von seinem Besuch bei Kräxens zurückkehrte, merkte es ihm die kleine Hexe von Weitem an, dass etwas nicht stimmte. Sie fragte ihn: „Ist deinem Bruder Kräx etwas zugestoßen?"
    „Glücklicherweise noch nicht", antwortete Abraxas. „Aber mein Bruder und seine Frau sind in großer Sorge. Es strolchen dort in der Gegend seit einigen Tagen zwei Jungen herum, die steigen auf alle
    Bäume und heben die Nester aus. Vorgestern haben sie ein Amselnest ausgeplündert und gestern das Nest eines Elsternpaares. Die Eier haben sie eingesteckt und die Nester haben sie in den Entenweiher geworfen. Mein Bruder Kräx ist verzweifelt. Wenn das so weitergeht, wird auch sein eigenes Nest über kurz oder lang an die Reihe kommen."
    Da sagte die kleine Hexe: „Dein Bruder Kräx braucht sich nicht zu fürchten. Flieg zurück und bestell ihm einen Gruß von mir. Wenn die Jungen zu ihm auf die Ulme steigen, dann soll er hierhereilen und es mir sagen. Ich werde ihm diese Tunichtgute vom Leib schaffen!"
    „Willst du das wirklich tun?", rief Abraxas. „Du bist eine gute Hexe, da sieht man's wieder! Die Oberhexe wird an dir Freude haben! Ich fliege sofort zu Kräxens und richte es ihnen aus!"
    Es vergingen nun einige Tage, ohne dass etwas geschah, und die kleine Hexe dachte schon längst nicht mehr an die beiden Nesträuber. Aber eines Nachmittags gegen Ende der Woche kam Bruder Kräx atemlos angeflattert. „Sie sind da, sie sind da!", krächzte er schon von Weitem. „Komm schnell, kleine Hexe, bevor es zu spät ist!"
    Die kleine Hexe war eben dabei gewesen, Kaffee zu mahlen, Sie stellte nun gleich die Kaffeemühle auf den Küchentisch, rannte nach ihrem Besen und sauste mit Windeseile zum Entenweiher. Die Brüder Kräx und Abraxas vermochten ihr kaum zu folgen, so schnell ging das über den Wald hin.
    Die beiden Jungen waren inzwischen schon hoch auf der alten Ulme. Sie konnten das Rabennest fast erreichen, Die Kräxin hockte auf ihren Eiern und zeterte.
    „Heda, ihr zwei!", rief die kleine Hexe. „Was macht ihr da? Kommt herunter!"
    Die beiden erschraken. Dann sahen sie aber, dass nur eine alte Frau nach ihnen gerufen hatte. Da steckte der eine Bengel der kleinen Hexe die Zunge heraus, und der andere drehte ihr eine lange Nase.
    „Ich sage euch, kommt herunter!", drohte die kleine Hexe, „sonst setzt's was!"
    Die Jungen lachten sie aber nur aus und der eine entgegnete frech: „Komm doch rauf, wenn du kannst! Wir bleiben hier oben sitzen, so lange wir Lust haben, Bäh!"
    „Also gut!", rief die kleine Hexe, „von mir aus bleibt oben!"
    Sie hexte die beiden Nesträuber fest. Da konnten sie weder vorwärts noch rückwärts klettern. Sie blieben dort kleben, wo sie gerade saßen, als wären sie angewachsen.

    Nun fielen Abraxas und das Ehepaar Kräx mit den Schnäbeln und Krallen über die beiden her. Sie zwickten und hackten und kratzten sie, dass an den Jungen kein heiler Fleck blieb. Da fingen die Eierdiebe in ihrer Verzweiflung zu schreien an; und sie schrien so laut und erbärmlich um Hilfe, dass auf den Lärm hin das halbe Dorf an dem Entenweiher zusammenlief.
    „Um Himmels willen, was gibt es denn?", fragten die Leute erschrocken. - „Ach, seht mal, das ist ja der Schneider-Fritz und der Schuster-Sepp! Wollten die etwa das Rabennest ausnehmen? Na, das geschieht ihnen recht! Wohl bekomm's ihnen! Warum müssen sie auch auf die Bäume steigen und Eier stehlen?"
    Kein Mensch hatte Mitleid mit ihnen. Den Leuten erschien es nur sonderbar, dass der Fritz und der Sepp nicht Reißaus nahmen.
    Selbst als die Raben endlich von ihnen abließen, blieben sie oben hocken.
    „So kommt doch herunter, ihr beiden Helden!", riefen die

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