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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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wieder in ihrem Sessel und griff nach dem goldenen Halter.
    »Ich jagte sie fort«, sagte ich dann. »Also Mavis - ich spreche von Mavis. Sie erzählte mir, sie habe ihn erschossen. Sie hatte den Revolver. Das Gegenstück von dem, den Sie mir gegeben hatten. Sie haben wohl nicht bemerkt, daß der von Ihnen benutzt worden war. «
    »Ich weiß sehr wenig über Revolver«, sagte sie sanft.
    »Klar. Ich zählte die Patronen darin, und angenommen, daß er am Anfang voll war, waren zwei abgefeuert worden. Quest war mit zwei Schüssen aus einer .32er Automatic getötet worden. Das gleiche Kaliber. Ich habe mir die leeren Hülsen aus der Bude dort unten mitgenommen.«
    »Wo unten, Amigo?«
    Es ging mir allmählich auf die Nerven. Zuviel Amigo, viel zuviel.
    »Natürlich konnte ich nicht wissen, daß es dieselbe Waffe war, aber man konnte es versuchen. Nur alles ein bißchen durcheinanderbringen und Mavis das Hintertürchen aufmachen. Also vertauschte ich die Pistolen, die er bei sich hatte, und legte die seine hinter die Bar. Die seine war eine schwarze .38. So was, das er eher bei sich haben konnte, wenn er überhaupt eine bei sich hatte. Sogar auf einem geriffelten Griff kann man Abdrücke machen, aber auf einem Elfenbeingriff muß man links ein paar sehr gute Abdrücke hinterlassen. So eine Waffe würde Steelgrave nie tragen.«
    Ihre Augen waren rund und leer und verwirrt. »Ich fürchte, ich komme da nicht ganz mit.«
    »Und wenn er einen Menschen erschoß, dann schoß er ihn tot und prüfte nach, ob er tot war. Aber dieser Bursche stand auf und wanderte noch ein Stück.«
    Ein kurzes Aufleuchten erschien in ihren Augen und war fort.
    »Ich würde sogar sagen, daß er noch etwas geredet hat«, fuhr ich fort. »Aber das hat er nicht. Seine Lungen waren voll Blut. Er starb vor meinen Füßen. Da unten.«
    »Aber wo unten? Du hast mir nicht gesagt, was das war, wo das ... «
    »Muß ich das?«
    Sie nippte an ihrem Glas. Sie lächelte. Sie stellte ihr Glas ab. Ich sagte: »Sie waren dabei, als Klein-Orfamay ihm sagte, wo er hingehen mußte.«
    »O ja, natürlich.« Gut reagiert. Schnell und klar. Aber ihr Lächeln wirkte ein bißchen müde.
    »Nur daß er nicht ging«, sagte ich.
    Die Zigarette hielt an, mitten in der Bewegung. Das war alles. Sonst nichts. Sie bewegte sich langsam an ihre Lippen. Sie paffte damenhaft.
    »So lagen doch die Dinge von Anfang an«, sagte ich. »Nur ich wollte es nicht glauben, obgleich ich es direkt vor der Nase hatte. Steelgrave ist Weepy Moyer. Das ist klar, oder nicht?«
    »Absolut. Und man kann es beweisen.«
    »Steelgrave hat sich gebessert, und es geht ihm gut. Da kommt dieser Stein daher und macht Schwierigkeiten; will einen Anteil. Nur meine Vermutung, aber so etwa spielt sich so was ab. Also gut, Stein muß weg. Steelgrave will niemand töten - er war nie unter Mordverdacht. Die Polypen von Cleveland kamen nicht, um ihn zu fangen. Bei Gericht lag nichts vor. Keine Geheimnisse - nur daß er eben bei irgendeiner Bande mal eine Rolle gespielt hatte. Aber Stein mußte er loswerden. Also läßt er sich einsperren. Und dann besticht er den Gefängnisarzt, kommt heraus, tötet Stein und geht sofort wieder ins Gefängnis. Sobald der Mord bekannt wurde, mußte der jemand, der ihn rausgelassen hat, alles tun, um alle Indizien dafür zu vernichten. Weil die Polypen rüberkommen und allerhand fragen würden.«
    »Ganz natürlich, Amigo.«
    Ich sah sie an; man sah noch keine Sprünge.
    »So weit, so gut. Aber dieser Bursche hatte ja schließlich ein bißchen Grips. Warum sorgte er dafür, daß sie ihn zehn Tage lang ins Gefängnis sperrten? Nummer eins, um sich ein Alibi zu besorgen. Nummer zwei, weil er wußte, daß die Frage seiner Identität mit Weepy Moyer früher oder später aufkommen würde - also, warum ihnen nicht die Gelegenheit geben, damit die Sache ausgestanden war? Damit sie nicht jedesmal, wenn wieder einer von den Ganoven in diese Gegend hier verschlagen wurde, versuchten, Steelgrave hereinzuziehen und ihm was anzuhängen.«
    »Gefällt dir die Idee, Amigo?«
    »Ja. Sehen Sie doch mal. Warum soll er ausgerechnet an dem Tag in einem Restaurant zum Essen gehen, an dem er aus dem Bau kam, um Stein umzulegen? Und wenn er das schon machte, wieso war gerade an dem Tag Quest in der Gegend, um das Foto zu knipsen? Stein war noch nicht tot, also bewies das Bild nichts. Ich hab's gern, wenn Leute Glück haben, aber das ist zu viel Glück. Nochmal: auch wenn Steelgrave nicht merkte, daß das

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