Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
Bild unmissverständlich, jeder ein Odysseus, und der Reporter ist ein Homer, der von ihren sagenhaften Heldentaten, ihren gefährlichen Reisen, ihren tragischen Irrtümern und ihren bedrohlichen Botschaften berichtet.
Und tatsächlich durchläuft der Reporter auf seinem Weg durch das Forschungsgebäude des Max-Planck-Instituts und der dazugehörenden Baracken die Welt und was sie zusammenhält. Die Forscher sind mit unterschiedlichsten Naturerscheinungen beschäftigt, und sie durchqueren auf den Spuren von Vulkanausbrüchen, Wolkenbändern, Aerosolen, Meeresströmungen und El Niño die Weltregionen. Das Klima erscheint in Form von „Dürren in Australien, Waldbränden in Indonesien, Fischsterben vor Peru (oder) winterlichen Kältewellen in Regionen, wo es Herbst sein sollte“, oder es mutiert zum politischen Gegenstand, der in Kyoto verhandelt wird und die Klimaforschung in einen Kleinkrieg mit der Industrielobby verstrickt.
Die gesamte Reportage ist durchzogen von der Spannung zwischen sachlicher Beschreibung und mythischer Überhöhung, zwischen individuellen Forschungen auf Fachgebieten und dem gemeinsamem Thema, dem Klimawandel, und, auf einer weiteren Ebene, zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft. Die Distanz zwischen diesen Polen wird immer wieder durch Bilder, Metaphern und andere narrative Elemente überbrückt, die oft genug von den Wissenschaftlern selbst und nicht nur vom Autor ins Spiel gebracht werden.
Sartorius beschreibt auch die Angst vor dem Irrtum. Zu jenem Zeitpunkt, 1997, ist die Klimawissenschaft bereits ein gebranntes Kind. Der Klimawandel ist schon lange in der Öffentlichkeit angekommen, in Form von Schreckensszenarien, auch aus dem Max-Planck-Institut. In seinen Gesprächen dort erlebt Sartorius die Wissenschaftler jedoch gar nicht so sehr von der katastrophalen Entwicklung überzeugt:
„Und ist es nicht tatsächlich beruhigend fürs Gewissen, daß man so ganz genau nun doch nicht weiß, in welchem Ausmaß der Mensch der Übeltäter ist? Hat sich nicht die Wissenschaft schon einmal geirrt? Hat sie nicht den Kühleffekt durch vulkanische und industrielle Aerosole unterschätzt und deshalb vor einem Jahrzehnt eine zu starke Erwärmung vorausgesagt, worauf ein Hamburger Nachrichtenmagazin bereits aufgeregt die Ozeane wegen des Abschmelzens der Polkappen überschwappen und den Kölner Dom untergehen sah? Jetzt also ist die Forschung zurückhaltender geworden, undvon der Steinkohleindustrie bis zur Automobilbranche wird dies triumphierend als ein Gegenbeweis für die Aufheizthese ins Gefecht geführt.“
In dieser Darstellung wird die politische Dimension als dem Gegenstand zugehörig geschildert, gleichberechtigt neben den geophysikalischen, mathematischen oder technischen Klimavariablen. Auch wenn die Annäherung an die Wirklichkeit immer genauer wird, so ist der Reporter realistisch genug, angesichts der ungeheuren Komplexität von Erscheinungen, die mit dem Klima zu tun haben und von den Forschern und ihren Modellen bewältigt werden müssen, einem Faktor das letzte Wort zu geben, der bis heute in der Klimadebatte virulent ist: dem Unsicherheitsfaktor.
Von der Methode der „Erkennung und Zuweisung“ bis hin zu einer Idealisierung der Klimaforschung als einer heroischen Unternehmung, von dem Nachweis, dass der Mensch das Klima beeinflusst, bis hin zur (medialen) Klimakatastrophe spannt sich ein weites Feld. Die Erfordernisse und Routinen des Wissenschaftsbetriebs sind da prosaischer: Der Klimawandel wird nun mehr oder weniger passend in das Getriebe der Wissenschaftspolitik eingepasst.
Wissenspolitik: Von nachhaltiger Entwicklung zum Klimawandel
Bis heute ist es üblich, dass auf den unteren Ebenen des Wissenschaftsbetriebs der Großteil der Klimaforschung völlig unbeeindruckt vom öffentlichen Lärm über die drohende Klimakatastrophe im Alltag der jeweiligen Forschungsaufgabe nachgeht und abwinkt, wenn es um die neuesten Statements der jeweiligen Institutsleiter oder anderer in der Öffentlichkeit stehender prominenter Forscher geht. Man betrachtet dies als die Eitelkeiten einiger weniger, stellt allenfalls Überlegungen an, dass damit vielleicht auch die nächsten Forschungsprojekte garantiert und finanziert werden, und verneint jeglichen Einfluss dieser öffentlichen Debatten auf die eigene laufende Arbeit. Diese häufig verbreitete Haltung unterschlägt allerdings die gesellschaftlich bedingten Voraussetzungen, das diskursive Setting, in dem alle institutionalisierte
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