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Die Zeitensegler

Titel: Die Zeitensegler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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»NEIN!«
    Mit einem lang gezogenen Schrei schreckte Simon aus dem Schlaf. Sein Herz hämmerte. Sein Atem raste. Heißer Schweiß rann ihm die Stirn hinunter.
    Er setzte sich mit einem Ruck auf und blickte sich hektisch um. Er war in seinem Zimmer. In seiner vertrauten Umgebung. Das fahle Licht der Nacht suchte sich seinen Weg durch die dünnen Vorhänge am Fenster und warf verzerrte Schatten an die Wand.
    Simon atmete tief ein. Es war also alles in Ordnung.
    Zumindest schien es so.
    Dennoch: Sein Herz wollte sich nicht beruhigen.
    War dies wirklich nur ein Traum gewesen? Alles hatte so realistisch gewirkt, so echt.
    Simon hatte die Bilder noch immer klar vor Augen. So klar, als wären all diese Dinge ganz greifbar hier in seinem Zimmer: dicke, schwarze Kohlestriche auf einer Felswand und eine Sanduhr, durch die blutroter Sand rieselte. Krähenschnäbel, die nach ihm hackten, und hohe Meereswellen, die über ihm zusammenschlugen.
    Simon kannte diese Bilder. Immer und immer wieder tauchten sie in seinen Träumen auf.
    Doch so lebendig und bedrohlich waren sie ihm noch nie erschienen.
    Und viel schlimmer: Etwas völlig Neues hatte sich heute Nacht in seinen Schlaf geschlichen. Zwei Dinge, die er zuvor noch nie gesehen hatte. Nicht im Schlaf und nicht in der Realität: Brennende Fackeln auf zwei Schiffsmasten, deren gleißende Flammen meterhoch in den Himmel ragten. Und eine weiße, klauenartige Hand, die nach ihm greifen wollte. Lange,vertrocknete, tote Finger, die sich nach ihm streckten. Die sich Zentimeter um Zentimeter seinem Gesicht näherten, während die Krähen seinen Kopf umschwirrten – bis Simon schreiend aus seinem Traum erwacht war.
    Noch immer schüttelte es ihn bei dem Gedanken daran.
    Was hatte all das zu bedeuten? Was war nur los in seinem Kopf? Welcher Mensch hatte solche Träume?
    Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und stand von seinem Bett auf.
    Krähenschnäbel, Kohlestriche, Leichenfinger. In seinem Kopf wirbelten Gedanken und Bilder wild umher. Sanduhren, Fackellichter, Meereswellen. Es gelang ihm einfach nicht, sich zu beruhigen.
    Sein Blick fiel auf die Vorhänge.
    Frische Luft!, dachte er. Frische Luft und einen Blick auf das Meer. Das hatte bisher noch immer geholfen.
    Er trat ans Fenster, zog die Vorhänge zur Seite, stützte die Hände auf die Fensterbank und schaute hinaus auf das Wasser, das wie schlafend unter dem sternenbehangenen Himmel lag und über dem der Mond …
    Simon riss die Augen weit auf und stemmte beide Hände gegen das Fensterglas.
    »Das ist unmöglich!«, flüsterte er fassungslos.
    Das konnte nicht wahr sein.
    Er schüttelte den Kopf und schlug sich mit einer Hand gegen die Stirn. Schlief er noch immer? War dies ein weiterer Traum?
    Nein, er war wach. Hellwach.
    Das Bild, das sich ihm bot, war keine Einbildung: Die brennenden Fackeln auf den beiden Masten dieses Schiffes vor ihm auf dem Meer waren echt. Ebenso wie die Krähen, die beideMasten umflogen und von denen Simon auf die Entfernung nur die schemenhaften Umrisse erkennen konnte, wenn sie dicht an dem gleißenden Licht der hohen Flammen vorbeiflogen. Alles spiegelte sich auf der glatten Oberfläche des Meeres.
    Und alles war real!
    Seine Albträume mussten Wirklichkeit geworden sein.
    Wie lange er letztendlich so dagestanden und stumm auf das Schiff gestarrt hatte, das hätte er später niemals sagen können. Sein Blick war ewig auf das Schiff gerichtet. Und es schien ihm, als blicke das Schiff starr auf ihn zurück.
    Das war verrückt. Und dennoch war dies Simons Empfinden: Ja, das Schiff starrte ihn an.
    Mehr noch: Die Flammen auf den Masten wirkten wie Hände, die ihn zu sich winkten.
    Plötzlich formte sich in ihm ein klarer, eindeutiger Entschluss: »Ich muss mir das ansehen«, flüsterte er mit Nachdruck. »Ich muss zu diesem Schiff!«

Etwas wühlte ihn auf.
Etwas passierte in ihm.
Nein, etwas geschah MIT ihm.
Er schloss die Augen und öffnete weit seine Sinne.
Er fühlte.
Wie lange war das schon nicht mehr geschehen?
Es war, als erwache etwas in ihm. Eine Kraft.
Hoffnung?
Er riss seine Augen auf. Es war so weit.
Endlich. Der Moment war gekommen.
Er war seinem Ziel noch nie näher gewesen.
Zum ersten Mal seit Jahren umspielte ein Lächeln seine blassen Lippen. Das erste Lächeln seit Jahrzehnten, vielleicht seit Jahrhunderten. Er hätte es nicht sagen können. Und es war ihm auch gleich. Die Zeit, wie die Menschen sie kannten, spielte für ihn keine Rolle. Das hatte sie noch nie getan.
Seine Zeit

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