Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
und dass die Forschung kein Selbstzweck ist. Auf einer Protestveranstaltung an der Küste wurde ein Plakat hochgehalten, das die Weltabgewandtheit der Naturwissenschaft treffend auf den Punkt brachte:„Das Watt ist die Lebensgrundlage der Fischer und keine Spielwiese für Forscher“.
(6) Demonstration in Büsum gegen die Einrichtung des Nationalparks an der Schleswig-Holsteinischen Westküste
Der Zorn der Menschen und Gruppen in der Region richtete sich gegen die Funktionäre des Nationalparks. Bis auf einige wenige Wissenschaftler hatten sich die beteiligten Ökosystemforscher längst wieder in ihren Elfenbeinturm zurückgezogen und überließen die Folgen ihres Tuns den Naturschützern vom Nationalparkamt. Diese gingen nun, anstatt sich einzuigeln, in die Offensive und suchten den Dialog, etwa in Form der „1000 Meter Gespräche“: Sie trafen sich mit Vertretern jeder einzelnen Küstengemeinde, um traditionelle Nutzungen des Wattenmeeres in ihrem Einzugsbereich zu verhandeln. Im Verlauf dieser Diskussionen verwandelte sich die „eingefrorene Natur“ des von oben angeordneten und durch die Wissenschaft legitimierten Nationalparks sukzessive wieder in einen lebendigen, von Menschen und nichtmenschlichen Lebewesen bewohnten und gestalteten Raum. Was pauschal als Natur deklariert worden war, entpuppte sich nun als eine Ansammlung von konkreten Akteuren wie Küstenbewohnern, Zugvögeln, ökosystemaren Prozessen, Fischern, Ölbohrinseln und Touristen. Die Frage lautete nun: Wessen Anliegen werden berücksichtigt, wer darf mit an den Verhandlungstisch, welche Kompromisse müssen geschlossen werden? Alle wollen und müssen gehört werden, wenn die Entscheidung wirklich nachhaltig sein soll.
Werner Krauß verfolgte im Rahmen seiner ethnologischen Forschung zum Beispiel die Spur der Ringelgänse und lernte so, wie sich über die Debatte über dieses Federvieh an der Küste der Wandel vom Landgewinn hin zum Naturschutz vollzog. 94 Natur als solche existiert nicht wirklich, sondern es sind immer bestimmte Spezies oder Angelegenheiten, um die es sich dreht. Die Ringelgänse wurden zu einer Art Wappentier des Nationalparks, da sie als schützenswerte und gleichzeitig sichtbare Spezies den Nationalpark repräsentieren. Sie lösten aber auch Konflikte aus, da sie die Felder der Bauern außerhalb des Nationalparks und auf den Halligen regelmäßig abfraßen. Sie wurden darüber hinaus Teil der nationalen Außenpolitik, indem es Naturschützern vom WWF gelang, ihre Brutgebiete in Sibirien ebenfalls als Schutzgebiete zu deklarieren; sie verbanden die Küstenregion mit der Europäischen Union, die zeitweise Entschädigungen für den Fraßschaden der Gänse zahlte. Es bleibt abzuwarten, wie der Klimawandel den Vogelzug und damit auch wieder die Politik verändern wird. Die Politik an der Küste bezieht sich nicht auf eine abstrakte Natur, sondern auf die Interaktion von Menschen mit ihrer Umwelt und dem, woraus sie besteht.
In diesem komplexen und vieldimensionalen Prozess gelang es, das Thema „Naturschutz“ zu einem verhandelbaren Gegenstand zu machen und so in ein „lösbares“ Problem zu überführen. Tatsächlich ist der große Konflikt, ob Nationalpark oder nicht, längst zur überwiegenden Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst. Was mit aktivistischem Umweltschutz begann und zu einem wissenschaftlich legitimierten Nationalpark wurde, endete in einem Politikmarathon, der Küstenlandschaft und -gesellschaft tatsächlich veränderte. Der Naturschutz erkämpfte sich Schritt für Schritt einen Platz in den Gemeindeversammlungen, im Küstenschutz, in der Lokalpolitik und im Alltag. Dieses Beispiel macht deutlich, dass nicht die zu schützende Natur die Ursache für die Konfliktewar. Das Problem bestand vielmehr darin, dass Akteure übersehen worden waren, menschliche wie nichtmenschliche; erst als man sie in den Prozess einbezog, konnten sich neue Koalitionen bilden und der Nationalpark und die Natur Realität werden – eine Realität, deren Konstruktion aus einem dichten Gewebe von Beziehungen zwischen weit entfernten Orten und unterschiedlichen Interessen besteht.
Die neue Herausforderung für die Küste heißt nun anthropogener Klimawandel. Auch dieser fällt hier nicht einfach vom Himmel, und genauso wenig wie ein Nationalpark kann eine Klimapolitik „von oben“ implementiert werden. Vielmehr muss die Aufmerksamkeit dem Vorgang gelten, wie der menschengemachte Klimawandel und die Reaktion auf die Erwartung eines
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