Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
vorhersehen. Wer hätte 1970 gedacht, dass sich viele von uns im Jahr 2012 ein Leben ohne Internet kaum noch vorstellen können; dass nicht mehr der Hunger in den Entwicklungsländern das schlechte Gewissen der reichen Industrieländer erzeugt, sondern der Klimawandel; dass nicht mehr der Konflikt zwischen West und Ost die Nachrichten beherrscht, sondern die Frage nach der Religion oder dem rasanten Wachstum in den Schwellenländern?
Genauso, wie wir heute auf die jüngere Vergangenheit, so werden die Menschen in 2050 auf das Jahr 2012 zurückblicken und feststellen, dass „die damals“ schon irgendwie anders, zumindest ungewohnt dachten.
Manche meinen, dass das Klimathema in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund treten wird und die derzeitigen Bemühungen um eine rechtsverbindliche globale Regelung durch viele pragmatische Einzelaktivitäten ersetzt werden: eine Zukunft, in der zum Beispiel Effizienzsteigerung, die Anpassung an Klimarisiken und der bewusste Umgang mit Produkten, bei deren Herstellung und Nutzung Treibhausgase freigesetzt werden, im Zentrum stehen; eine Zukunft, die geprägt sein wird von dem allgemeinen, aber nicht formal fixierten Bemühen, den Klimawandel kleiner zu halten und die nicht vermeidbaren Folgen beherrschbar zu machen.
Ein anderes Szenario wäre, dass aus ganz anderen Gründen verfolgte technologische Neuerungen eine Reduzierung der Emissionen bewirken, sozusagen nebenbei ein Durchbruch in eine kohlenstoffarme Zukunft gelingt und das Problem langsam verschwindet. Ein Beispiel hierfür wäre vielleicht das „Fracking“, 90 das als Folge des vermehrten Einsatzes von Erdgas in den USA einen unerwarteten Schwenk in Richtung Minderung der CO 2 -Emissionen bewirkte. 91 Andere technologische Neuerungen – zufällige oder gezielt herbeigeführte – in der Energieproduktion sind natürlich ebenfalls denkbar.
Dagegen stehen negative Szenarien. Natürlich kann die Schuldenkrise, eine politische Radikalisierung, ein Auseinanderdriften der Interessen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu einem Zusammenbruch der globalen Warenströme, zu reduzierter internationaler Kooperation, vermehrter Nutzung heimischer Kohle und beschleunigtem Klimawandel führen – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wie uns der politische Alltag der letzten Jahrzehnte gezeigt hat. Natürlich ist eine Welt denkbar, in der sich die Klimaproblematik deutlich verschärft, ohne dass dies wirklich wahrgenommen wird, weil jede Gesellschaft mit dem Wunsch nach Steigerung des eigenen Wohlstands beschäftigt ist.
Einige Leser werden fragen, wo denn diejenigen optimistischen Szenarien bleiben, die auf den internationalen Bemühungen aufbauen, die Emissionen jetzt und in der näheren Zukunft durch verbindliche Absprachen zu begrenzen und so eine Wende herbeizuführen. Szenarien einer Zukunft, in der die Menschen ihr Verhalten zugunsten der nächsten oder übernächsten Generation nach dem Ideal der Nachhaltigkeit ausrichten. Mit anderen Worten, einer Zukunft, in der die Sonntagsreden wahr und die Verträge wirksam werden, in der die Klimapolitik aus der Kraft gesellschaftlicher Überzeugung gelingt. Der Klimaforscher unter den Autoren hält diese Perspektive für unrealistisch, der Ethnologe zögert. Er hält es für unverzichtbar, dass wir die Idee einer Menschheit, die gemeinsam den Planeten Erde bewohnt, aufrechterhalten – allerdings auf Basis einer Globalisierung von unten, die aus der wirksamen Vernetzung von Regionen resultiert. Wir werden in diesem Kapitel noch näher darauf eingehen.
Wenn wir heute über Zukunft reden wollen, dann sollten wir das in Form von Szenarien tun, mit der Beschreibung von Zukünften, die uns plausibel erscheinen, die in sich stimmig sind, die möglich sind – aber nicht notwendigerweise wahrscheinlich. So wird jeder seine eigene Perspektive entwickeln, wohl wissend, dass es so wahrscheinlich nicht kommen wird. An den Lagerfeuern werden diese Erzählungen ausgetauscht werden, Streit auslösen, Perspektiven eröffnen – und neue Szenarien erzeugen.
Ein bleibendes Element der heutigen Allgegenwart des Themas „Klimawandel“ in der Öffentlichkeit, in den Medien, in den Familien, in den gesellschaftlichen Gruppierungen wie Gewerkschaften, Parteien und Vereinen wird die Einsicht sein, die vielleicht gar nicht so neu ist: Man kann sich auf das Klima nicht verlassen. Die an sich so zuverlässige Randbedingung unseres Seins ist nicht so unveränderlich, wie wir sie
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