Die Klimaprioritaeten
-verluste halten sich global ungefähr die Waage. Wird neues Land in Lateinamerika durch Roden von Wäldern unter |97| den Pflug gebracht, geht es in Asien durch Erosion, Versteppung und Verstädterung verloren. Allein in China verschwanden in den letzten zehn Jahren 8 Millionen Hektar fruchtbares Land. Das Reich der Mitte, einst Exporteur von Agrarerzeugnissen, kauft heute die Weltmärkte für Getreide leer.
Selbst wenn für Biokraftstoffe keine Wälder verschwinden, bleibt die Klimabilanz dürftig. Die Rechnung, die Befürworter von Biodiesel aufmachen, ignoriert oft den industriellen Anbau. Sie kalkulieren das in den Pflanzen während des Wachstums »gespeicherte« Kohlendioxid, das beim Verbrennen dann wieder frei gesetzt wird. Und sie berechnen nachfolgende
Verarbeitungsstufen
wie das Raffinieren. Untersuchungen zeigen, dass Biodiesel immer noch weniger Kohlendioxid freisetzt als Erdöl, selbst wenn der Energieaufwand für Ernten, Verarbeiten und Transportieren eingerechnet wird. Nicht bedacht wird jedoch oft der Einsatz von Düngemitteln, ohne die keine moderne Landwirtschaft mehr auskommt.
Der Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen hat vorgerechnet, wie die Klimabilanz von Biosprit aussieht, bezieht man lediglich Stickstoff als Düngemittel ein. Dieses erzeugt das Treibhausgas Stickoxid, das eine 290-mal stärkere Wirkung als Kohlendioxid entfaltet. Wird Ethanol beispielsweise aus Mais gewonnen, produzieren diese Emissionen allein das 0,9- bis 1,5-fache an Erderwärmung wie Erdöl. Bei Rapsöl – gegenwärtig werden weltweit rund 80 Prozent des Biodiesels aus Raps gewonnen – liegt der Wert sogar noch höher: 1,0- bis 1,7-fach.
Schaden Biokraftstoffe also mehr, als sie nutzen, oder sind die Vorteile am Ende marginal? Die Rufe nach einer Kurskorrektur werden lauter. »Es macht keinen Sinn, solche Biokraftstoffe zu unterstützen, die tropische Wälder vernichten und dem Klimaschutz keinen Dienst erweisen«, erklärt Merlin Hyman von der britischen Environmental Industries Commission, dem
Interessenverband |98| der Umwelttechnologiefirmen. Es sollte nur noch Biosprit vermarktet und zugelassen werden, der wenigstens die Hälfte der Emissionen der ersetzten fossilen Treibstoffe einspart. Anderenfalls werde der Markt für Biokraftstoffe langfristig beschädigt. Die Royal Society, Großbritanniens wichtigste Wissenschaftsakademie, fordert rasch Kriterien für nachhaltigen Biosprit und ein entsprechendes Gütesiegel. Achim Steiner, Chef des UN-Umweltprogrammes, sieht dringenden Handlungsbedarf für ökologische Mindeststandards, die den Schutz tropischer Wälder garantieren müssten.
Von einem international anerkannten Qualitätsausweis für alle Biokraftstoffe sind wir jedoch noch weit entfernt. Zwar existieren die Kriterien des Round Table on Sustainable Palmoil, aber eben nur für Palmöl. Und diese Standards gehen vielen EU-Politikern bereits zu weit. Solange es kein anerkanntes Gütesiegel gibt, fordern Umweltorganisationen, die in ihren Augen schädlichen Zielgrößen der EU abzuschaffen und ein Moratorium für die Ausweitung von Biospritproduktion. »Wir brauchen mehr Zeit, um einen besseren Übergang zu mehr Nahrungs- und Energiesicherheit zu organisieren«, schreibt Eric Holt-Gimenz, Direktor des Institute for Food and Development Policy in Oakland, in der International Herald Tribune .
Zeit nehmen will sich Indien nicht. Biokraftstoffe vor allem aus Jatrophaöl eröffnen hier neue Horizonte. Sie werden als Entwicklungsmotor gesehen, vor allem für ländliche Gebiete. Als Chance, Armut zu reduzieren. So wie in dem indischen Dorf Ranidahra.
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Geht es um die Zukunft von Biodiesel in Indien, ist Alok Adholeya eine erste Adresse. Er ist Direktor für Biotechnologie und |99| Bioressourcen am The Energy and Resource Institute in Delhi, kurz TERI. Dessen Chef ist das personifizierte globale Wissen in Sachen Klimaschutz: der spitzbärtige Rajendra Pachauri, Vorsitzender des Weltklimarates IPCC. Alok Adholeya sitzt in einem viel zu engen Büro im Habitat Center, einem riesigen Gebäudekomplex im Herzen Neu Delhis, der Forschungsinstitute, Museen und Bibliotheken beherbergt und so auch in Moskau stehen könnte. Auf Adholeyas Etage befinden sich unzählige kleine Labore. Die Innenräume versprühen den Charme der siebziger Jahre.
Es geht um Jatropha. Der Baum, der das
Biokraftstoff-Dilemma
lösen soll. »Na ja, ein Wunderbaum ist es nicht«, meint Alok Adholeya. Er redet oft mit
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