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Die Klimaprioritaeten

Titel: Die Klimaprioritaeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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geschlossenen Augen, leise und fast meditierend. »Aber er ist sicher viel besser als andere Ölpflanzen.« Er konkurriert nicht mit Nahrungspflanzen, wird von Tieren nicht gefressen und kann auf relativ nährstoffarmen Böden wachsen. Aber die Vorstellung, die durch die Medien geistert, er brauche kaum Wasser und könne auch in der Halbwüste wachsen, sei falsch. Jatrophabäume könnten eine Weile ohne Wasser überleben, doch dann sei die Ernte schlecht. Für eine gute Ernte braucht es rund 600 Millimeter Niederschlag im Jahr. Das sind Berliner Verhältnisse.
    Jatropha wurde von den Portugiesen aus Lateinamerika nach Indien gebracht. Der Baum diente als Heckenschutz, begrenzte Felder und Weiden. Da die Samen giftig sind, wird er von Tieren gemieden. Bei den Menschen geriet der Baum mehr oder weniger in Vergessenheit. »Jatropha als Biodieselpflanze, das alles steckt noch in den Kinderschuhen«, erklärt Alok Adholeya. Welche der mehr als 150 Sorten ist am besten unter welchen Boden- und Klimabedingungen für die Pflanzenölproduktion geeignet? »Es gibt noch viele Unbekannte.«
    Sein Team forscht seit sechs Jahren an Jatropha. Ursprünglich |100| ging es für ihn nicht darum, erneuerbare Energierohstoffe zu finden. Ihn interessierte, Brachen und ökologisch degradierte Flächen wieder zu bepflanzen, um sie
zurückzugewinnen
für die Landwirtschaft. In Indien sind etwa 60 Prozent der Ackerflächen – eine Folge des massiven Chemieeinsatzes der »grünen« Revolution in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts– überdüngt, ausgelaugt und teilweise unbrauchbar. »Es ging um Umweltschutz und ländliche Entwicklung«, erläutert Alok Adholeya. Jatropha verbessert die Bodenqualität, nach einigen Jahren können auch Reis, Gemüse oder andere Bäume wieder angepflanzt werden. Und der Baum gedeiht gut in der Nachbarschaft von Kokospalmen oder Mangobäumen.
    Dieser Ansatz hatte eher den Charakter eines ökologischen Rehabilitierungsprogrammes.
    Doch nun ist man mittendrin im Bioenergiesturm. Alles dreht sich jetzt um Biodiesel. Um Exportchancen, um sauberen Treibstoff für Indiens marode LKW-Flotte und Eisenbahnen, Treibstoff, den man nicht importieren muss, um Arbeit, Einkommen und Strom für die Zurückgebliebenen in den Dörfern zu ermöglichen. Dabei prallen zwei Welten aufeinander: international operierende Unternehmen, die den Hunger der
industrialisierten
Welt nach Biotreibstoffen stillen wollen, dabei einen Markt mit mächtigem Sog schaffen, und Indiens Bemühen, sich zu entwickeln.
    Der Ölkonzern BP allein pumpt 64 Millionen US-Dollar in Forschung und Anbau von Jatropha in Indien. Die Regierung in Neu Delhi gibt jährlich 300 Millionen US-Dollar für die
Biospritforschung
aus. Indien will gut positioniert in den Startlöchern stehen, um Jatropha in naher Zukunft industriell nutzen zu können.
    Trotz der erkennbaren Vorteile von Jatropha gegenüber Ölpalmen und Soja bleiben viele Inder misstrauisch. Ausländische |101| Ölfirmen sehen sie als neue Kolonialisten. Man fürchtet die unregulierte Marktmacht der Giganten aus Öl- und Agroindustrie, die generalstabsmäßig einsteigen, Indien zu einem Exportland und einer weiteren Biodiesel-Tankstelle für die reichen Nationen machen wollen. Mit dem bekannten Kreislauf: Mehr Flächen für Jatropha führen zu weniger Flächen für Getreide und höheren Lebensmittelpreisen – die dann zuerst wieder das Heer der Armen in Indien treffen würden. Indien schieße sich mit dieser Strategie selbst ins Knie, so die Kritiker im eigenen Land. Die ersten Opfer wären die Bauern.
    Man kann den Bauern ihren Argwohn nicht verdenken. Was wurde mit und an ihnen nicht schon alles ausprobiert, das sich oft als Fluch und nicht als Segen entpuppte. Gentechnisch veränderter Reis, »Bt«-Baumwolle von Monsanto, neues
Hochleistungssaatgut
, Pestizidwunder, nun dieser Superbaum. Früher hatten sie ihre Subsistenzwirtschaft, die Kontrolle über ihre eigene Aussaat und wenigstens genug zu Essen für die Familie. Heute sind sie abhängig von Monsanto-Vertretern und schlitzohrigen Händlern, pflanzen auf gestressten Böden Monokulturen, die anfällig für Schädlinge sind und müssen für Saat, Dünger und Pestizide immer mehr bezahlen. Arundati Roy, Schriftstellerin, politische Aktivistin und immer an vorderster Front, wenn es gegen ausländische Multis geht, schimpft, dass indische Bauern mit Jatropha wieder einmal zu
Versuchskaninchen
der Agrarindustrie gemacht werden, um schließlich

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