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Die Klimaprioritaeten

Titel: Die Klimaprioritaeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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überredet zu werden, Land zu verkaufen. 90 Prozent der 650 Millionen Menschen, die in Indien von der Landwirtschaft leben, besitzen weniger als 4 Hektar Land.
    Das Misstrauen bekam auch das britische Unternehmen D1Oil zu spüren. In einem Joint Venture mit BP entwickelt es
Jatrophaplantagen
in Indien. Eine Million Hektar sollen bepflanzt, Tausende Arbeitsplätze geschaffen werden. Doch die Presse war |102| schlecht auf die Briten zu sprechen, warf ihnen sogar vor, aus indischen
Forschungslaboren Zuchtproben zu stehlen. »Was Jatropha anbetrifft, ist das indische Establishment polarisiert, entweder völlig euphorisch oder ablehnend. Viele sehen die Chancen. Andere sehen, das wir ihnen den großen Kuchen streitig machen«, meint Ben Good von D1Oil. Auch die Regierung verhalte sich ambivalent. Sie sei zwar froh, dass ihr dabei geholfen werde, in Zukunft unabhängiger von Erdölimporten zu sein. Andererseits wolle sie nicht, dass D1Öl Jatrophaöl exportiere.
    Wer einmal tagsüber aus Neu Delhi hinaus- und abends wieder in die Stadt hineinfährt, versteht auch warum. Delhi ist eine irdische Hölle. Und der Verkehr ist die Zufahrtsstraße dorthin. Jedes Jahr werden in der
Keiner-weiß-wie-viele-Millionen-Stadt
im Durchschnitt 200 000 neue Autos registriert, 2007 sogar 300 000. Demnächst will der indische Autobauer Tata mit seinem »Nano«-Miniwagen auch noch die unzähligen Mopeds ersetzen. Einziger Lichtblick: Die dreirädrigen Tuktuks fahren nun mit Erdgas. Ansonsten wünscht man sich das Zeitalter der Fahrräder und Reitelefanten zurück. Die Luft ist toxisch. Die Sonne dringt nur mit diffusem Halblicht durch die Dunstglocke hindurch. Über dem Boden, besonders gut in der Abenddämmerung zu sehen, liegt wie Nebel ein milchiger Smogschleier. In den Außenbezirken brennen am Straßenrand und auf den Feldern kleine Feuer zum Kochen und Wärmen. Hier ist es oft stockdunkel. Keine Straßenlampen, kein Strom. Selbst in den wohlhabenden Vierteln gehen mehrmals am Tag die Lichter aus. Ist der Strom weg, springen Generatoren ein. Sie stehen vor und hinter jedem Geschäft, auf den Dächern der Wohnhäuser, alte Dieselmotoren, die dann losrattern. Oder auch nicht.
    Indien braucht einfach jeden Tropfen Biodiesel für sich selbst. Deswegen die Mega-Anbauprogramme. Deswegen schwärmen |103| die »Location Scouts« aus, testen jede Brache, ob sie nicht doch für Jatropha geeignet ist.
    Dass Jatropha auch auf grenzwertigen Böden gedeiht, bedeutet allerdings nicht, dass der Baum auch nur dort gepflanzt wird. Er wächst schließlich noch viel besser auf fruchtbaren Böden. Sicher, sagt Alok Adholeya, wenn Bauern bislang auf schlechten Böden mit viel Aufwand geringe Erträge Reis erwirtschaftet haben, werden sie dies aufgeben und auf Jatropha umschwenken. Er glaubt jedoch nicht, dass Bauern Jatropha pflanzen würden, wenn sie fruchtbare Böden haben. Denn die Einnahmen aus Getreide sind bislang höher.
    Doch das kann sich ändern, wie das Beispiel Palmöl gezeigt hat. Klettern die Preise mit wachsender Biodieselnachfrage, wird es zunehmend attraktiver für Bauern, Getreide aufzugeben und Jatropha zu kultivieren. Dazu kommt der wachsende Druck von Firmen, Land aufzukaufen für eine industrielle
Jatrophaproduktion
. Im Ergebnis geht fruchtbares Ackerland für Nahrungspflanzen verloren, das irgendwo ersetzt werden muss.
    Alok Adholeya glaubt nicht, dass dieser Teufelskreislauf einsetzen muss. Denn es gebe in Indien ausreichend Ödland. 60 Millionen Hektar (600 000 Quadratkilometer), um genau zu sein. Eine unvorstellbare Zahl. Eine Ahnung von dieser Dimension bekommt jedoch, wer Indien von Nord nach Süd durchfliegt: Weites braunes, trockenes, kahles Land. Davon sind nach Angaben der Regierung immerhin 30 Millionen Hektar für den Jatrophaanbau geeignet. »Kein einziges bestehendes Feld müsste umgewandelt werden«, sagt Alok Adholeya, gibt aber zu, dass dies wohl utopisch ist.
    Das Potenzial von Brachland in Indien werde oft überschätzt, meint RS Kureel, Direktor des National Oilseeds and Vegetable Oil Development Board im indischen
Landwirtschaftsministerium |104| in Neu Delhi. Es gebe schließlich Gründe, warum Land nicht genutzt wird: Landrechtskonflikte, Missmanagement, schlechte Böden, geografische Grenzräume – und ökonomisch wiegt der Aufwand nicht den Nutzen auf. »Ein Großteil dieser Gebiete ist de facto nicht verfügbar«, erklärt er. Doch selbst wenn man nur ein Drittel davon nutzen könnte, wäre dies ein

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