Die Klimaprioritaeten
lebt mit seiner Frau und vier Kindern in Ranidahra, Bundesstaat Chhattisgarh, Zentralindien, 600 Kilometer westlich von Kalkutta, 21˚14′ nördlicher Breite, 81˚38 östliche Länge. Ein Dorf mit 600 Einwohnern. Es ist bergig hier, bewaldet und angenehm kühl. Die Menschen bauen auf ihren Feldern an, was sie zum Leben brauchen. Der Wald ist noch üppig, es gibt genug Holz und Früchte. Gekocht und geheizt wird mit Reisig und Kuhdung, Lampen brennen gewöhnlich mit Petroleum.
|90| Ranidahra ist eines jener unzähligen Dörfer in Indien, wo die Geschichte eingefroren war, wo elektrisches Licht so unerreichbar schien wie der Salsahüftschwung für einen Hanseaten, auf ewig verdammt zu Armut und Stillstand. Doch im Sommer 2007 schrieb Ranidahra Weltgeschichte: Erstmals wird hier ein ganzer Ort mit Strom aus Pflanzenöl versorgt. Aus den giftigen, aber ölhaltigen Samen des Jatrophabaumes. Ein Baum, je nach Sorte auch ein hoher robuster Strauch, in dem Indien die Zukunft des Biodiesel sieht.
Die Dorfbewohner hatten längst den Glauben verloren, jemals Elektrizität zu erleben. Es dauerte auch zwei Jahre, sie zu überzeugen, dass der Strom aus Pflanzenöl, aus Bäumen, die bei ihnen hinterm Haus wachsen können, genauso guter Strom ist, wie der aus einer Überlandleitung.
Initiiert hat das Projekt Winrock India, ein gemeinnütziges Institut aus Neu Delhi, unterstützt von der British High Commission und der indischen Regierung. Das Institut wollte beweisen, dass Pflanzenöl Dörfer mit Strom versorgen kann. Nachhaltig und umweltfreundlich. Die Bewohner erhielten Saatgut, Setzlinge, Technik und Training unentgeltlich, müssen aber fortan ihren kleinen Energiekreislauf selbst regeln. Alles ist so berechnet, dass keine weiteren Subventionen nötig sind. Dazu wurde eigens ein Dorfenergierat gegründet. Dieser ist verantwortlich, dass immer ausreichend Öl vorhanden ist, der Generator gewartet, die Samen geerntet und der Strompreis von 20 Rupie (0,32 Euro) pro Monat bezahlt wird.
Der Generator hat eine Leistung von 17,5 Kilowatt. Er versorgt die 110 Haushalte mit Strom, ausreichend für Licht, Radio, Fernseher oder Ventilator. Er betreibt Straßenlampen, einen Brunnen und die Mühle, die das Öl aus den Samen presst. Für den Anfang fließt der Strom nur zwischen 18 und 22 Uhr. Später einmal, wenn die immergrünen Bäume mehr Öl liefern, vielleicht auch morgens.
|91| Damit das dickflüssige Jatrophaöl verbrannt werden kann, musste ein herkömmlicher Dieselgenerator umgebaut werden. Castrol, der indische Partner von BP, half dabei und hat nun das Patent auf die Technik. Dies könnte sich auszahlen. 25 000 Dörfer in Indien sind so abgelegen, dass sie nur durch diese Möglichkeit nicht mehr ewig auf einen Stromanschluss warten müssen.
In Ranidahra wachsen nun 25 000 Bäume auf ehemaligem Brachland, freien Flächen zwischen Reisfeldern, neben Mangobäumen oder neben der Straße. Im Nachbardorf gibt es eine Baumschule, die neue Setzlinge züchtet. Nach zwei Jahren bereits können die ersten Früchte geerntet werden. 40 Prozent beträgt ihr Ölanteil. Läuft alles gut, liefern ein Hektar Jatrophabäume rund zwei Tonnen Biodiesel pro Jahr.
Doch Jathropha sorgt nicht nur für Strom. Ödes Land wird wieder bepflanzt und rekultiviert. Die Bodenqualität verbessert sich, und nach einigen Jahren können auch Reis oder Gemüse wieder angebaut werden. »Eine Win-win-win-Situation«, freut sich Somnath Bhattacharjee, Direktor von Winrock India.
Jatropha ist das neue Zauberwort hier in Indien. Ein nachwachsender Rohstoff, der auf kargen Böden gedeiht, keine fruchtbaren Äcker streitig macht, klimafreundlich ist, der steigenden Energiebedarf, Entwicklung und Umweltschutz versöhnt. Und anders als beim Palmöl muss kein Wald gerodet werden, anders als bei Soja und Mais entfällt der Konflikt, ob Nahrungsmittel in Dieselmotoren enden. Die indische Regierung verfolgt darum ein ehrgeiziges und umstrittenes Ziel: 14 Millionen Hektar Land sollen mit Jatrophabäumen bepflanzt werden. Zum Vergleich: Die gesamte Waldfläche in Deutschland beträgt elf Millionen Hektar.
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|92| Das Klima schützen und vom Erdöl unabhängiger werden – Biokraftstoffe versprechen beides. Und sie suggerieren, unendlich verfügbar zu sein. Biodiesel und Ethanol wurden seit einigen Jahren als Schmierstoff für gewissenreines Autofahren gepriesen. Auf den Börsenfluren und in den Investorenstuben
leuchten seither die Augen. Die Investitionen von
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