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Die Klimaprioritaeten

Titel: Die Klimaprioritaeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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Risikokapitalgesellschaften
in Biosprit-Firmen stiegen in den vergangenen drei Jahren weltweit um 800 Prozent. Konzerne der Öl-, Getreide- und Autoindustrie formen mächtige Geschäftsbündnisse, die die gesamte Produktionskette von Aussaat über Verarbeitung bis Zapfsäule umfassen. Die weltweite Bioethanolproduktion verdoppelte sich zwischen 2000 und 2005, die Herstellung von Biodiesel stieg sogar um das Vierfache. Der Ausweg schien nah, uns auf den Klauen der Erdölwirtschaft zu befreien. Manche Optimisten verkündeten sogar, die Produktion von Biokraftstoffen könne in Zukunft die Erdölproduktion überflügeln.
    Die Politik stimuliert und forciert den Boom mit
Steuervergünstigungen
und ambitionierten Zielvorgaben. Der US-Kongress will 15 Prozent Biosprit-Anteil bis 2022 – so sieht es ein neues Energiegesetz vor. Die Europäische Kommission legte 2003 fest, diesen Anteil bis 2010 auf 5,75 Prozent zu steigern. Bis 2020 soll er auf 10 Prozent europaweit erhöht werden. Viele EU-Länder haben zudem ihre eigenen Zielmarken. In Deutschland sollen ab 2010 mindestens 6,75 Prozent Biosprit dem herkömmlichen Diesel beigemischt werden.
    Doch man hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die landwirtschaftliche Kapazität der Industrieländer reicht bei weitem nicht aus, um diese Ziele zu erreichen. Also muss Neuland her. Das Grundnahrungsmittel Mais wird jetzt in den USA zu Bioethanol und nicht mehr zu Mehl verarbeitet. Ist Mehl knapp, wird Brot teurer. Diese Knappheit drückt die Preise auf dem ohnehin angespannten Weltmarkt für Getreide – eine wachsende |93| Nachfrage aus Asien, jahrelange Dürre im wichtigen
Weizenexportland
Australien, höhere Landwirtschaftskosten durch den explodierenden Ölpreis – weiter in die Höhe. Die
Welternährungsorganisation
FAO veranschlagt, dass Biokraftstoffe 10 Prozent am Preisauftrieb für Lebensmittel ausmachen, der Internationale Währungsfonds geht von bis zu 30 Prozent aus.
    Anfang 2007 bereits marschierten Zehntausende Mexikaner durch ihre Hauptstadt und protestierten gegen unbezahlbare Tortillafladen. Italien erlebte einen Tag lang den »Pasta-Streik«, weil die Nationalspeise jetzt 20 Prozent mehr kostet. Weizen, Mais, Milch und Rindfleisch erreichten immer neue Rekordpreise. Im Frühjahr 2008 rollte eine Protestwelle gegen teure Lebensmittel um den ganzen Globus. Wütende Menschen in Haiti, Ägypten und Bangladesch plünderten Geschäfte, Regierungen sahen sich gezwungen, den Export von Getreide zu stoppen. Eilig anberaumte UN-Meetings suchen nach Auswegen. Weltbankchef Robert Zoelleck sprach bereits von »sieben verlorenen Jahren« im Kampf gegen den Hunger, sollten die Preise nicht wieder fallen. Doch ein Ende der Preisexplosion ist nicht in Sicht. Das International Food Policy Research Institute prognostiziert, dass Grundnahrungsmittel bis 2010 um 20 bis 30 Prozent teurer sein werden, bis 2020 gar um 135 Prozent.
    Doch damit nicht genug. Regenwälder werden für Palmölplantagen und Sojafelder kahl geschlagen und abgebrannt. Die Umweltbilanz von Biosprit ist längst nicht so rosig wie einst angenommen. Heute kann kaum noch jemand den Anbau von Mais oder Ölpalmen für den Tank rechtfertigen, ohne nicht in den Ruf zu kommen, Hunger und Entwaldung für unseren Mobilitätsdrang in Kauf zu nehmen. Selbst die OECD resümiert: Der Ausbau der Biospritproduktion führe zu »unhaltbaren Spannungen« auf den Nahrungsmittelmärkten.
    Die Debatte über Sinn und Unsinn von Biotreibstoffen war |94| lange polarisiert; zu wenig wurden nüchtern Vor- und Nachteile abgewogen. Die Gegner verdammten ihren Einsatz, da sie die Umwelt ruinierten, die Befürworter versprachen die Rettung für den globalen Energiehunger. Das Thema ist ein Lehrbeispiel dafür, wie eine erhoffte Lösung sich beim zweiten Blick als neues Problem erweist; auch weil Politiker in ihrem Eifer über das Ziel hinausschossen, ohne vorher die – nicht völlig überraschenden – Konsequenzen bedacht zu haben. Mittlerweile ist die Euphorie verflogen, und es wird versucht, den davon stürmenden Gaul wieder einzufangen und zu bändigen.
    Der Biokraftstoff-Boom ist zuallererst ein Kampf um Landnutzung. Um die Frage, ob wir die Ackerflächen lieber für den Tank oder den Magen nutzen. Und weil auf den Agrarmärkten alles mit allem zusammenhängt, verschärft die rasant gestiegene Nachfrage den Druck auf den tropischen Regenwaldgürtel und andere noch verbliebene Naturlandregionen.
    Die Anbauflächen für nachwachsende

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