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Die Klimaprioritaeten

Titel: Die Klimaprioritaeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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Klimagerechtigkeit ernst nehmen will, hätte ich diese Reise vielleicht gar nicht machen können. Mein persönliches Emissionskonto wäre längst aufgebraucht. Ich hätte per Videokonferenz mit Neu Delhi sprechen müssen. Vielleicht hätte ich aber auch meine Emissionen handeln können mit jemandem, der weniger reist und lieber in seinem Garten sitzt. Wer weiß.
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    Kapitel 1 Kohle muss sauberer werden
    Ein Mann zu einem belgischen Taxifahrer: »Wie komme ich von hier aus zum Flughafen?«
    Antwort des Taxifahrers: »Ich würde nicht hier losfahren.«
    »Die sauberste Kohle ist die, die gar nicht erst gefördert wird.«
    Benito Müller, Professor, Oxford University
    Der Kohle gehört die Zukunft. In China, Indien und auch in der Lausitz. Hier in Spremberg, 51˚46′ nördliche Breite, 14˚20′ östliche Länge, ist die Zukunft etwa einen Hektar groß. Hier will der Energiekonzern Vattenfall zeigen, dass Kohle, sogar die dreckige Braunkohle, verbrannt werden kann, ohne das Erdklima aufzuheizen. Hier, wo die Menschen einem sagen: »Wenn wir sonst nischt haben, aber Kohle haben wir« und Kohlevorkommen noch für hundert Jahre reichen, hier will man ein neues Kapitel deutscher Energiewirtschaft aufschlagen.
    Diese Tragweite erschließt sich dem unwissenden Betrachter des Geländes nicht. Ein Kesselhaus, Schornstein, eine Rauchgasreinigung, Schaltzentrale und viele Rohre. Ein Kraftwerkspark eben. Es braucht jemanden, der den Unterschied aufzeigt. Die Luftzerlegungsanlage zum Beispiel. Sie ist ein hoher, schlanker, hellgrauer Turm, vielleicht so hoch wie ein 13-stöckiges Haus. In ihr wird Luft aufgespalten in Stickstoff und Sauerstoff. Der Sauerstoff wird in den
Verbrennungskessel
nebenan gepresst. Hier wird die Kohle verbrannt, jedoch nicht wie sonst üblich mit Umgebungsluft, sondern mit dem reinen Sauerstoff. Oxyfuel nennt sich das Verfahren. Ziel ist, ein Abgas zu erhalten, dass aus fast reinem Kohlendioxid |22| besteht, etwa zu 98 Prozent. Das Abgas wird entstaubt, entschwefelt, und der Wasserdampf wird auskondensiert. Anschließend wird das CO2 unter hohem Druck verdichtet und verflüssigt, dabei auf Minus 28 Grad gekühlt. In diesem Zustand kann Kohlendioxid in Tanklastwagen gepumpt und transportiert werden.
    Neun bis zehn LKWs schaffen das flüssige Kohlendioxid später, wenn die Pilotanlage hochgefahren wird im Herbst 2008, täglich in die 300 Kilometer entfernte Altmark. Insgesamt 100 000 Tonnen. Dort wird es in alte Erdgasfelder gepumpt, in denen noch rund 20 Milliarden Kubikmeter Gas lagern, die aber mit herkömmlicher Technik nur schwer gefördert werden können. Wird nun das Kohlendioxid in die Gesteinsschichten
gepresst, verdrängt es das Erdgas, das somit einfacher gewonnen werden kann. Vattenfall wäre also sein Kohlendioxid los, Gaz de France, dem die Gasfelder gehören, könnte Erdgas im Wert von geschätzt einer Milliarde Euro verkaufen, das sonst verloren wäre. Eine Win-win-Situation.
    70 Millionen Euro hat Vattenfall in dieses Projekt investiert. Es ist eine kleine Testanlage, nur 30 Megawatt, und sie produziert auch nur Wärme. Drei Jahre lang soll der Versuch hier in Spremberg laufen. Dann soll das Kraftwerk Jänschwalde, ein DDR-Bau und eines der ineffizientesten und
klimaschädlichsten
Kraftwerke Europas, mit der gleichen Technik ausgestattet werden. Anschließend, so hofft Vattenfall, ist die Technik serienreif und könnte in allen
unternehmenseigenen
Kraftwerken eingesetzt werden – ein Meilenstein für die Kohleindustrie und ein Hoffnungsschimmer für den Klimaschutz.
    Saubere Kohle? Wir haben ein gespaltenes Verhältnis zur Kohle. Sie symbolisiert industriellen Fortschritt, aber auch zugleich den hohen Preis dafür: dreckige Luft und Klimawandel. |23| Ohne sie wären wir nicht da, wo wir sind, wir können aber so nicht weiter mit ihr. Doch aussichtslos ist die Lage nicht.
    Das wird einem klar,
wenn man über die Pilotanlage in Spremberg
läuft und über den Zaun auf das nah gelegene 1 600
Megawatt-Kraftwerk
Schwarze Pumpe blickt. Einst war der Name Synonym für die marode DDR-Kohlewirtschaft, verantwortlich für sauren Regen und verrußte Bettlaken auf der Wäscheleine hinter dem Haus. Heute steht dort eine große, graue Box, auf der man auch den Namen eines Möbel- oder Baumarkts anbringen könnte. So steril wirkt sie. Von Kohle fehlt jede Spur. Sie ist so versteckt wie die Donau in Wien. Allein die beiden riesigen Kühltürme erinnern an ein Kraftwerk. Die Schlote blasen nur

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